Der schwäbische Luther kommt aus Reutlingen

Von Esther Koch, Kassel
Fotos: Carsten Meier

anp1403_reformationshajk_IMG_7306„Wittenberg? Wo um alles in der Welt liegt Wittenberg?“ fragt sich Theo. Auch seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter schauen ziemlich ratlos. Vier Städte sind auf dieser Karte eingezeichnet – allerdings ohne Namen. Hinter jedem Kreuz, das eine Stadt markiert, befindet sich eine Koordinate. Die Koordinate der Stadt Wittenberg ist das nächste Ziel der Gruppe. Wählen sie die falsche Stadt, heißt es dass sie einen großen Umweg laufen werden. Dies gilt es natürlich zu verhindern.

Die Pfadfinderinnen und Pfadfinder aus dem Stamm Jan Hus nehmen am „Reformationshajk“ teil. Dieser Hajk ist einer der vielen Hajks, die auf dem Bundeslager 2014 in der schwäbischen Alb angeboten wurden. Ein Angebot mit dem der VCP gemeinsam mit seinem Kooperationspartner „Denkwege zu Luther“ schon das nächste Bundeslager in den Blick nimmt.

Denn das wird 2017 in Wittenberg anlässlich des Reformationsjubiläums stattfinden. Da das Land Württemberg maßgeblich von der Reformation geprägt wurde und es große Reformatoren wie Johannes Brenze, Erhard Schnepf und …. Ja, da sind wir wieder bei unserer Gruppe, die genau diese Frage lösen will – hervorgebracht hat, was liegt da näher, als sich thematisch schon mal darauf einzustimmen?

Und so machte sich die Gruppe aus Konstanz als erste von dreien auf, zu entschlüsseln, wer genau hinter dem klugen und scharfsinnigen Denker steckt, der vor 500 Jahren das Weltbild der Schwaben auf dem Kopf stellte und die Geschichte der Region nachhaltig veränderte.

Die Tour der Gruppe führt sie von Kleinengstingen über den Listhof nach Pfullingen. Den genauen Weg kennen sie nicht, den müssen sie sich Stück für Stück erarbeiten. Ausgestattet mit GPS suchen sie sich Cache zu Cache ihren Weg. Ein Cache ist eine Art Schatzkiste. In jedem finden sie einen Auszug aus dem Leben des Mannes, der in der Literatur auch der „Luther Schwabens“ genannt wird. Die Koordinaten für den nächsten Cache bekommen sie aber nur, wenn eine Aufgabe am Ende jedes Textes beantwortet wird. Wann ist der gesuchte Mann wohl geboren? Was studierter er? Für welche Ideen trat er ein? Was machte er in Wittenberg? Und: Wo liegt Wittenberg eigentlich?

Die Versuchung ist groß, dass Smartphone zu befragen. Aber dies verbietet die pfadfinderische Ehre. Magdalena fragt einen vorbeigehenden Spaziergänger. Aber seine geografischen Kenntnisse sind nicht besser. Schließlich einigt sich die Gruppe per Ausschlussverfahren darauf, dass Wittenberg die Stadt im Nordosten sein muss. Sie sollen Recht behalten.

Die Pfadfinderinnen und Pfadfinder erfahren, dass ihr gesuchter Mann ein großer Verehrer Martin Luthers war und in Reutlingen predigte. Er griff die Missstände in der Kirche, wie den Ablasshandel und die Ämterhäufung ebenso an wie Luther.

Er gestaltete den Gottesdienst um, der in Reutlingen dann auch auf Deutsch gehalten wurde. Er schrieb eine neue Kirchenordnung, die die Demokratisierung der Kirchengemeinde in den Gang setzte. Ihm ist zu verdanken, dass Reutlingen als einzige süddeutsche Stadt neben Nürnberg das Augsburger Bekenntnis unterschrieb – das Bekenntnis, das letztendlich zur zentralen Bekenntnisschrift der protestantischen Kirchen wurde.

Er galt als standhaft, klug, volksnah und innovativ. Von seinen Anhängern geliebt, den Verfechtern der „einzig wahren Lehre“ verhasst. Er wurde bedroht, angeklagt und unter Druck gesetzt, aber er hielt an seinen Ideen fest.

Aber diese Aufgaben sind nicht die einzigen Herausforderungen, die die Gruppe meistern muss. Auch die Strecke hat es in sich. Knapp 30 km lang führt sie nicht nur über breite Wanderwege, sondern auch über Trampelpfade, Wiesen und durch Waldschluchten. Hier sind Kondition und vor allem Zusammenhalt und Teamgeist gefragt.

Aber die Pfadfinderinnen und Pfadfinder meistern jede Anstrengung und werden am Ende für ihre Mühen gelohnt: Am Abend stehen sie in der Marienkirche Reutlingen dem Mann gegenüber, auf dessen Spur sie waren: Matthäus Alber!

Er begrüßt die erschöpften Pfadis herzlich in seiner Wirkungsstätte, zeigt ihnen die Marienkirche und erzählt aus seinem bewegten Leben.

Danach bewirtet Herr Alber – im wirklichen Leben heißt er Dr. med. Christoph Hoffmann- Kuhnt – mit seiner Frau die erschöpften Jugendlichen mit Getränken und selbstgebackenen Kuchen. Ihnen beiden sei an dieser Stelle nochmals ganz herzlich für die gelungene Überraschung und ihre Mitarbeit als „lebendiger Cache“ gedankt.

Als letzte Station steuert die Gruppe dann ihren Übernachtungsplatz am Listhof an. Gefragt, was sie sich merken wollen, antwortet Theo: „Dass Reformation viel mehr ist als Martin Luther“ und Nico ergänzt grinsend: „Wo Wittenberg liegt.“

Was bedeutet eigentlich Reformation?

Der Legende sagt, dass am 31. Oktober 1517 Martin Luther 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg schlug. Er kritisierte damit das Ablasswesen der damaligen Kirche. Damit trat er eine Reformbewegung los, die Kirche, Gesellschaft, Kultur und Politik bis in unsere Zeit hinein verändert hat. Vielen Menschen nahm sie die Angst vor dem Jüngsten Gericht, Staat und Kirche wurden getrennt, die deutsche Sprache wurde entscheidend weiterentwickelt, Musik wurde populär, die und der Einzelne wurde in seiner Bedeutung gestärkt, die ersten Ideen zu Toleranz, Menschenwürde und Grundrechte nahmen hier ihren Anfang.

Auch wenn Luther nie vorhatte, eine neue Kirche zu gründen, führten die Ereignisse doch zu einer Spaltung des westlichen Christentums in die katholische, lutherische und reformierte Konfession.

2017 jährt sich dieses Ereignis – ob es so historisch stattgefunden oder nicht- zum 500. Mal. Dieses Jubiläum wird gefeiert werden. Nicht nur, aber besonders von der evangelischen Kirche.
Wir als evangelischer Verband feiern mit und zeigen das auch, in dem wir unser Bundeslager 2017 in Wittenberg veranstalten werden.

Natürlich ist die Reformation auch ein Schwerpunktthema in unserem Verband. Wir laden mit verschiedenen Angeboten dazu ein, sich mit der Zeit und den Ideen der Reformation zu beschäftigen. Wir werden euch in anp laufend dazu informieren.

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