Lost in Translation – verwirrende Eindrücke aus dem Land der aufgehenden Sonne

Von Susanne Heinrich, Monheim

Anfang April fand das erste Head of contingents (Hoc)-Meeting in Yamaguchi statt. Dort trafen sich mehr als vierzig Nationen, um mehr über den Stand der Vorbereitungen für das Jamboree 2015 in Japan zu erfahren. Als Kontingentsleitung des VCP nahmen wir dies zum Anlass, ein Woche vorher anzureisen, um offene Fragen für das Tourprogramm der Trupps vor und nach dem Jamboree zu klären.

Japan – ein Land zwischen Tradition und Moderne. Sushi und Reis, Geishas und Kirschblüte, Erdbeben und Mount Fuji, Mangas und Computerspiele, Technik-Konzerne und Fukushima… Natürlich habe ich inzwischen viel über Japan gelesen – aber wie wird es tatsächlich sein?

Der Flieger startet vor dem Frühstück, um am frühen nächsten Morgen in Tokyo zu landen. David „Daffi“ Fritzsche, der nicht zum ersten Mal in Japan ist, leitet uns vom Flughafen zum richtigen Bus. Ohne ihn wäre ich hier deutlich überfordert gewesen. Noch ist vieles auf Englisch beschildert – aber die Flut japanischer Schriftzeichen überwiegt und ich habe das Gefühl, die Orientierung zu verlieren. Nicht schlimm, dass es drei verschiedene Schriftsysteme gibt – ich verstehe ohnehin nichts.

In den nächsten Tagen wohnen wir in einer privaten Wohnung mitten in Tokyo. Der Flur beginnt mit dem gefliesten Bereich, um die Straßenschuhe gegen Pantoffeln zu wechseln. Küche, Ess- und Arbeitsbereich bilden eine Einheit, es gibt noch ein Schlafzimmer – aber nichts, was wir Wohnzimmer nennen würden. Es ist nicht wirklich eng, aber alles pragmatisch angeordnet und technisiert. Nicht umsonst haben wir vorab Fotos und übersetzte Anleitungen erhalten, um Herd, Klimaanlage, Türöffner, Waschmaschine und Toilette zu bedienen. Apropos Toilette – angewärmte Klobrillen überraschen, sind aber durchaus angenehm. Verblüffend groß ist das Badezimmer mit zwei Räumen. Wie ich nun weiß, kleidet man sich im Waschraum aus – und betritt erst dann den eigentlichen Bad- und Duschraum. Reinlichkeit und abendliches Baden werden in Japan großgeschrieben.

Ziemlich übermüdet laufen wir durch die Stadt zur „Bundeszentrale“ der japanischen Pfadfinder. Dort sind wir verabredet, um das VCP-Vorlager in oder bei Tokyo zu organisieren. U-Bahn-Fahren kann auch in anderen Städten der Welt verwirrend sein. Auf mich alleine gestellt hätte ich aber kaum den Eingang gefunden, der sich zwischen die Ladenlokale einreiht. Mit etwas Glück erhascht man einen Linienplan auf Englisch – besser ist aber, sich an den Stationsnummern zu orientieren. Wir sind nicht zur Hauptverkehrszeit unterwegs. Daher sehen wir auch kein Bahnpersonal, das die Menschmassen durch die Türen drängt, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Voll ist es trotzdem. Diejenigen, die einen Sitzplatz ergattert haben, schlafen nach wenigen Augenblicken. Mir ist bis heute nicht klar, wie sie es schaffen, an der richtigen Station auszusteigen. Fast alle anderen Fahrgäste machen irgendwas mit ihrem Smartphone – außer telefonieren, denn das würde ja andere stören. Neben mir steht eine Frau, die offene Handtasche unterm Arm und obendrauf Handy und Portemonnaie. Unvorstellbar in jeder europäischen Großstadt, hier aber völlig normal. Ich habe mich in keiner anderen Metropole der Welt so sicher gefühlt wie in Tokyo.

anp1402_wsj2015_2014-04-05_16-05-09In den Straßen steht alle paar Meter ein Getränkeautomat. Bekannte Marken findet man kaum, dafür eine beeindruckende Farbenvielfalt. Etliche kaffeeartige Getränke werden wahlweise heiß oder kalt ausgeworfen. Für die leeren Dosen oder Flaschen steht ein Sammeleimer direkt daneben. Öffentliche Mülleimer dagegen sind eher die Ausnahme. Trotzdem erleben wir eine saubere Stadt. Auch der Hausmüll wird penibel getrennt und gebündelt. Aber leider verstehen wir die Beschriftungen nicht und die Sortiersystematik erschließt auch nicht durchs Hineinschauen. Im Zweifelsfall hoffen wir, dass alles „burnable“ ist.

Wir streifen durch Parks und beobachten zahlreiche Gruppen, die „Hanami“, die Zeit der Kirschblüte feiern. Überall sitzen Familien, Kollegen oder Freunde auf blauen Plastikplanen (natürlich ohne Schuhe!) unter den Bäumen und packen Snacks und Getränke aus. Im Prinzip ein riesiges Picknick, mit Spiel, Musik, Gelächter – und immer wieder Fotos von Kirschblüten. Das volksfestartige Treiben geht bis in den späten Abend – oft mit reichlich Bier oder Sake. Und dann überraschen uns die disziplinierten Japaner doch: Für den ganzen Abfall dieser Feierrunden gibt es an den Ausgängen riesige Sammelbecken. Getrennt wird hier gar nichts – Hauptsache: weg damit!

Um von Tokyo nach Hiroshima zu kommen, fahren wir mit dem Shinkansen –dem japanischen ICE. Fehlende Zugteile, umgekehrte Wagenreihung oder Zugausfälle gibt es hier allerdings nicht. Der Waggon mit dem reservierten Sitzplatz hält zentimetergenau da, wo es am Bahnsteig markiert ist. Diese Präzision lehrt uns gleichzeitig: Die Abfahrtszeit ist ernst gemeint..

Am Bahnhof Hiroshima fragen wir, wie wir zum gebuchten Hostel kommen. Der Auskunft folgend landen wir prompt im falschen Stadtteil – weil es zwei Hostels dieser Kette gibt. Mit Hilfe von Buchungsausdruck, Smartphone, PC und Irreführung durch Google maps erreichen wir nach mehr als zwei Stunden die Unterkunft. Im schmalen Flur wartet ein großes Regal auf unsere Schuhe, hier kommt es immer wieder zu „Staus“ mit den anderen Gästen. Auf Socken erklimmen wir die zweite Etage. Tatamis, Futons, ein niedriger Tisch, ein Wandschrank, ein (oho!) Mülleimer – das war‘s.

Wir besichtigen das Hiroshima Peace-Center, das fester Bestandteil für alle Jamboree-teilnehmenden werden wird. Die Eindrücke sind bedrückend und aufrüttelnd zugleich. Und dann steht man direkt davor – die berühmte Ruine mit der Stahlkuppel, mitten in einer modernen Stadt. Apropos moderne Stadt – im Straßenbahnnetz der Stadt fahren unglaublich verschiedene Wagenmodelle, von hochmodern bis zum Baujahr 1904 mit Bremse per Fußpedal.

anp1402_wsj2015_2014-04-03--05-33-47--JapanDie Insel Miyajima ist ein „Muss“ für Touristen. Das berühmte Tori im Wasser kennt man von Fotos. Wir besichtigen einen Schrein, losen nach einem vorgegebenen Ritual einen Horoskop-Zettel (den wir natürlich nicht lesen können) und testen, was der Wanderführer mit „leichtem Weg“ meint. In zahlreichen Läden gibt es Andenken – mehr oder weniger kitschig. Was wir aber vergeblich suchen, sind Ansichtskarten. Das scheint in Japan nicht sehr populär zu sein.

Wir reisen weiter nach Yamaguchi zum Hoc-Meeting. Dort bestätigen sich viele Eindrücke, die wir die Woche über schon sammeln konnten: Pünktlichkeit heißt in Japan zehn Minuten VOR der Zeit da zu sein. Das Englisch der allermeisten Japaner ist kaum zu verstehen – oder gar nicht vorhanden. Was genau ich da gerade esse weiß ich nicht – aber es schmeckt!
Trotz Japanischkurs werde ich auch im Sommer 2015 unwissend vor all den leuchtenden und glitzernden Beschriftungen und Hinweisen stehen. Es wird ein Abenteuer ganz eigener Art in einem fremden Land mit außergewöhnlich hilfsbereiten und freundlichen Menschen!

Links

Homepage des deutschen Kontingents

Jamboree-Informationen auf VCP.de

Weitere Informationen des japanischen Gastgebers

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