Abenteuerliche Geschichten: 25 Jahre vereintes Deutschland

Foto: Interview: Wie lebte es sich als Punk in Ostdeutschland?

Von Jakob Hoffmann, Frankfurt

Mit 25 lässt man es in der Jugendarbeit gerne ausklingen. Manchmal früher, manchmal später. Wenn Deutschland dieses Jahr also das 25 jährige Jubiläum seiner Wiedervereinigung feiert, dann kennen die heutigen Akteure unseres Jugendverbandes die DDR nur noch aus Geschichtsbüchern und von Erzählungen, aus Guido-Knopp- Sendungen und aus Ostalgieprodukten wie den Trabbi oder NVA-Mützen.

Zugleich gibt es aus unserer Perspektive kein Ereignis von welthistorischem Rang, das für eine Recherche so zugänglich ist wie die Geschichte der DDR und des Mauerfalls. Zeitzeugen sind nahe, oft im eigenen Bekanntenkreis. Und sie sind auskunftsfähig. Es ist z.B. einfach Leute zu finden, die beim Mauerfall so alt waren wie unsere Klientel, unsere Ehrenamtlichen jetzt.

Mir wurde das besonders deutlich, als ich auf einer Lesung des Comic-Autors Mawil war. In seiner preisgekrönten Graphic Novel „Kinderland“ beschreibt er seine Zeit als Pubertierender in Ost-Berlin, witzig, dramatisch und irgendwie sehr gegenwärtig. Ich lud ihn sofort ein, sein Buch bei uns vorzustellen und über seine Geschichte zu sprechen.

Unser Projekt besteht aus zwei Teilen: Recherche und Kongress / Happening. Für die Recherche fand sich eine Gruppe aus 11 Pfadis, jeder mit einem Interviewwunsch im Gepäck. Dabei ging es zunächst nicht um ganze konkrete Personen, das Kriterium war die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beruf, einer Subkultur, einer politischen Gruppe. „Ich möchte wissen, wie man als Punk in der DDR gelebt hat!“, „Ich möchte mit jemand vom Oktoberclub sprechen“, „Gab es eigentlich Kriegsdienstverweigerer in der DDR?“, „Mich interessieren die Erfahrungen von jemand, der geflohen ist“…..

Ein Plan wurde gemacht, Kontakte geknüpft. Das ging überwiegend schnell und gut. Fast alle Leute, die man ansprach, denen man von dem Projekt erzählte hatte, eine Idee und noch eine, einen Kontakt, einen Film, ein Buch. Die Dynamik motivierte uns.

Wir hatten uns überlegt, dass wir gerne filmen und eine hochwertige Printdokumentation erstellen möchten, mit Texten, Fundstücken, Fotos, etwas für die Hand.

Im Mai führten wir unser erstes Interview. Wir trafen uns mit F. in Eisenach. F. schilderte uns ihre Flucht aus der DDR, über die Tschechoslowakei. Es war beeindruckend und auch ein bisschen lustig. Zugleich lernten wir unsere ersten Lektionen in Sachen Ton und Bild.

Im Juni fuhren wir nach Berlin zu Reinhold Andert, einem Schriftsteller und Liedermacher, ehemaliges Mitglied des Oktoberclubs, mit Auftrittsverbot belegt, nach der Wende ein Vertrauter Honeckers, der mit ihm lange Gespräche führte (und in einem Buch dokumentierte).

Die ersten beiden Interviews werteten wir auch hinsichtlich unserer Frage- und Aufnahmetechnik auf. Wir hatten gemerkt: Die Leute haben Lust zu sprechen, es gibt aber auch eine gewisse Skepsis.

Den Hauptteil der Recherche machten wir in der ersten Augustwoche. Mit acht Leuten und einem roten VW Bus.

Los ging es mit einem VCP Treffen – in Leipzig. Die allererste Landesleitung des VCP Sachsen, erzählte uns, wie es war, 1990 mit der Pfadfinderei zu beginnen, dort, wo blaue Halstücher nicht das beste Image hatten. Von Leipzig führte uns die Tour über Dresden, Waldheim und Jena nach Berlin, von dort nach Neubrandenburg, Prora, Rostock und Schlutup, zwölf Interviews mit durchweg spannenden Leuten.

Eindrücklich war, wie sich im Laufe der Zeit Bezüge herstellten, sich Aussagen überschnitten, wiederholten, wie langsam ein Bild entstand. Zwar taten (und tun) sich immer weitere Fragen auf, aber es zeichnen sich Linien ab. Keiner unserer Gesprächspartner verherrlichte die DDR. Aber es gab auch (fast) niemand, der sie pauschal verurteilte. Man lebte dort, die Repression war unterschiedlich
stark spürbar.

Besonders schlimm war es für die Kriegsdienstverweigerer, die als Bausoldaten im riesigen Baukoloss Prora (ein 5 km (!) langes Gebäude an der Ostsee) schuften mussten. Die Punks waren ständigen Gängeleien ausgesetzt. Dennoch gab es für viele auch Erfahrungen, die vor allem nach der Wiedervereinigung als positiv eingeschätzt wurden: keine Existenzangst, ein relativ gerechtes Gesundheitswesen, ein einheitliches Bildungssystem.

Im November werden auf den Herbsttagen die Interviews vorgestellt. Aber nicht nur das. Mawil kommt, zeichnet und erzählt und in einer Simulation überlegen wir uns: Was wäre heute, wenn die Mauer noch stünde?! Wie angesagt eine solche Frage heute ist, weiß jeder, der die der die aktuellen Ereignisse verfolgt.

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