Unendliche Sehnsucht – was Fußball und Religion verbindet und trennt

von Andreas Witt, Hamburg

Was macht Fußball zur wichtigsten Nebensache der Welt? Warum pilgern an jedem Bundesligaspieltag hunderttausende Fußballfans in die „Kathedralen des Sports“? Warum versetzt eine gewonnene WM eine ganze Nation in kollektiven Freudentaumel? Na klar! Weil Fußball einfach „ans Herz geht“ – mit „unendlicher Sehnsucht“, „leidenschaftlichem Verlangen“ und „unbedingten Ernst“ – wie es der Theologe Paul Tillich (1886-1965) formulieren könnte, der mit diesen Begriffen Religion als das definiert, „was uns unbedingt angeht“.

Fußball bedeutet vielen sehr viel – ist Fußball also eine „Religion“?
Es gibt viele Parallelen zwischen der Welt der Religionen und dem Kosmos des Fußballs: Die Rituale im Stadion ähneln einer Gottesdienstliturgie, Fußballstars werden zu „Heiligen“ und „Erlösern“ erhöht, Bundesligaspieltage werden zu -wortwörtlichen- Feiertagen, so wie EM und WM zu echten Hochfesten. Ein illegales Handspiel lässt – zumindest für einen kleinen Augenblick – die Hand des damaligen argentinischen Superfußballers Diego Maradona zur „Hand Gottes“ werden, ebenso wie eine kleine, unscheinbare, zerknitterte Papierkugel beim Duell zwischen den Rivalen HSV und Werder Bremen zur „Papierkugel Gottes“ mutiert. Selbige genießt mittlerweile den Status einer heiligen Reliquie und wird im „Werder-Bremen-Wuseum“ stolz präsentiert.

rosenkranzWar 1954 der emotionale Ausruf des Reporters Herbert Zimmermann über die Glanzparaden des Torhüters Toni Turek im WM-Endspiel gegen Ungarn „Turek, du bist ein Teufelskerl! Toni, du bist ein Fußballgott!“ noch ein Skandal, zu dem sich sogar der damalige Bundespräsident Theodor Heuss äußerte, so kursieren heute die verschiedensten Versionen eines „Fußball-Vater-Unsers!“ – ohne dass groß Anstoß daran genommen wird.

Also: Zwischen Fußball und Religion gibt es viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede: Denn die Stadien sind meistens voll, unsere Kirchen oft leer. Im Stadion sind alle gleich – vom „Hartzer“ bis zum Akademiker. Fußball „geht eben einfach ans Herz“.

Martin Luther formuliert im Großen Katechismus im Rahmen seiner Erklärung zum 1. Gebot: „Woran Du nun, sage ich, dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich Dein Gott“. Hängt das Herz von Tausenden oder gar Millionen von Menschen eher am Fußball als an Gott bzw. ihrer Religion? Ist Fußball, das, worauf sich unsere „unendliche Sehnsucht“, unser „leidenschaftliches Verlangen“ und unser „unbedingter Ernst“ richtet? Wahrscheinlich nicht, denn jedes Spiel dauert nur 90 Minuten – so gewährt der Fußball uns eine kurze, scheinbare Erlösung von den Sorgen unseres Alltags, aber die existenzielle menschliche Sehnsucht nach vollkommener Erlösung richtet sich offensichtlich woandershin: Die großen Lebensfragen nach dem „Woher?“, „Wozu?“ und dem „Wohin?“ unseres Menschseins vermag das Phänomen Fußball – im Gegensatz zu den Religionen – nicht beantworten, obwohl der Ball kugelrund wie Gottes Erde ist.

Die „Hand“ und die „Papierkugel“ Gottes

Am 22. Juni 1986 erzielte der argentinische Mannschaftskapitän Diego Maradona im WM-Viertelfinale England gegen Argentinien in der 51. Spielminute durch ein Handspiel ein irreguläres Tor, wie die Fernsehbilder belegen. Der Ausspruch „Hand Gottes“ geht auf Maradona selbst zurück, der im Fernsehinterview nach dem Spiel ohne Reue zu zeigen sagte: „Es war ein bisschen die Hand Gottes und ein bisschen Maradonas Kopf.“ Der Begriff „Hand Gottes“ ist Teil der Fußballsprache geworden. So fälschte am 7. Mai 2009 im UEFA-Pokal-Halbfinale HSV – Werder Bremen eine kleine Papierkugel einen Schuss ab und verursachte einen Eckball für Werder Bremen, der zu einem Tor führte. Später wurde diese besagte Papierkugel – in Anlehnung an Maradonas „Hand Gottes“ – als „Papierkugel Gottes“ bezeichnet. Die kleine Papierkugel war im Rahmen einer Fan-Choreographie vor dem Spiel auf das Spielfeld geflogen. Nach eigenen Angaben war Dittsche (alias Olli Dittrich) der Werfer der Papierkugel, wie er in der WDR-Sendung „Dittsche“ behauptete.

Tipp: Wanderausstellung „Fußball-Halleluja“ im Focke-Museum in Bremen

Wer sich für das Thema „Fußball und Religion“ interessiert, findet in der – in internationaler Kooperation erstellten – Wanderausstellung „Fußball.Halleluja“ auf 450 qm über 100 spannende Exponate: vom „Fußball-Voodoo-Altar“ aus Togo, mit dem ein Voodoo-Priester seine Nationalelf bei der WM magisch unterstützen wollte bis zum „Original-Trikot“, das Franz Beckenbauer beim WM Endspiel 1974 in München trug. Die interaktive und multimediale Ausstellung beleuchtet in elf Themenbereichen, welche Beziehungen zwischen Fußball, Religion und Gesellschaft bestehen. Ergänzt wird die Ausstellung durch den DFB Fußball-Parcours „Focke kickt“, bei dem Besucherinnen und Besucher selbst an acht verschiedenen Stationen kicken dürfen. Die Ausstellung wird noch bis zum 28. März 2016 im Focke-Museum in Bremen gezeigt. Weitere Stationen der Ausstellung sind danach Lyon, Luxemburg, Barcelona und schließlich Moskau – zeitgleich zur WM 2018.

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