Wie durch einen Fehler beim „Guttenbergen“ vermutlich im Rahmen der Überlieferung der Bibel aus einer Apostelin ein Apostel wurde!
von Andreas Witt, Hamburg
Ich bin Lateinlehrer. Und neulich habe ich bei einer eingesammelten Hausaufgabe vier Zehntklässler des „Guttenbergens“ (= „abschreiben“) überführt. Diese vier hatten sich eine Übersetzung für die Hausaufgabe aus den unendlichen Weiten des Internets besorgt. Doch dabei haben sie einen sehr auffälligen Rechtschreibfehler in einem relativ seltenen Eigennamen richtig falsch abgeschrieben: „Quintitlan“ statt „Quintilian“. Dumm gelaufen! Merke: Es kommt auf jeden einzelnen Buchstaben an. Doch was hat diese Schulanekdote mit der Überlieferung der Bibel und einer „transsexuellen“ Apostelin zu tun?
In ähnlicher Weise wie Schüler*innen Hausaufgaben (aus dem Internet oder voneinander) „guttenbergen“, wurde die Bibel (wie übrigens alle anderen Bücher auch) vor der Erfindung des Buchdrucks durch Abschreiben vervielfältigt. Ziemlich mühsam! Meistens geschah dies in den Schreibstuben der Klosterbibliotheken. Beim Abschreiben, das wissen alle Lehrer*innen, unterlaufen Schüler*innen schnell Fehler. Diese werden beim erneuten Abschreiben nicht verbessert, sondern wieder abgeschrieben. Dabei kann es natürlich auch vorkommen, dass jemand beim Abschreiben einen Text unbewusst oder bewusst verfälscht:
Der ehemalige politische Shootingstar Karl-Theodor zu Guttenberg liefert auch hier ein gutes Beispiel. Bei der Berichterstattung zur Amtseinführung als Wirtschaftsminister zählten viele Zeitungen seine zehn Vornamen auf: Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jakob Philipp Franz Joseph Sylvester – zuzüglich eines elften: Wilhelm, den ein junger Journalist absichtlich als Fehler in den Wikipedia-Artikel eingefügt hatte.
Und viele ernstzunehmende Medien wie die „Süddeutsche Zeitung“ oder die Spiegel-Online-Redaktion übernahmen diesen Fehler. Peinlich… Und jetzt kommen wir endlich zur „transsexuellen“ Apostelin Junia: In einer eigentlich ziemlich unspektakulären Bibelstelle heißt es: „Grüßt Andronikus und Junias (oder Junia?), meine Stammverwandten und Mitgefangenen, die berühmt sind unter den Aposteln und schon vor mir in Christus gewesen sind!“ (Röm. 16.7) Diese Grüße sind eingebettet in eine ganze Reihe von Grüßen des Paulus am Ende seines Briefes an die urchristliche Gemeinde in Rom. Eigentlich langweilig, oder? Über die meisten der hier genannten Personen weiß man heute relativ wenig. Andronikus und Junia (oder Junias?) gehörten – wie Paulus hier schreibt – zu den Aposteln.
Achtung! Ab hier wird es spannend, wenn wir davon ausgehen, dass der Name Junia lautet und somit eine Frau bezeichnet. Dies ist dann nämlich ein Beleg dafür, dass auch Frauen zu den Aposteln gehörten und somit offensichtlich eine wichtige Rolle in den urchristlichen Gemeinden spielten. Der Frauenname „Junia“ war in der Antike – wie man aus vielen Quellen weiß – recht häufig, im Gegensatz zum Männernamen Junias, der lediglich einmal in der gesamten antiken Literatur bezeugt ist, nämlich hier bei Paulus. Was folgt daraus?
Verfolgt man die Geschichte der Überlieferung und Kommentierung dieser Bibelstelle, so lässt sich feststellen, dass im 4. Jahrhundert der Bischof Johannes Chrysostomus davon ausging, dass die Apostelin Junia eine Frau war. Erst später wird dann offensichtlich überwiegend der männliche Name Junias gelesen, was den Verdacht nahe legt, dass hier jemand den Bibeltext fehlerhaft abgeschrieben hat – ob absichtlich oder unabsichtlich wollen wir mal offen lassen. Denn wenn es tatsächlich weibliche Apostel gab, stellt sich letztendlich die Frage, warum keine Frau auf dem apostolischen Stuhl sitzen darf.
ursprünglich erschienen in: anp 2/2012