Geheimnisvoll – Tschai am Lagerfeuer

Wenn der dampfende Tee überm Feuer hängt...Foto: Johanna Mixsa

von Jakob Krueger

„Wenn das Feuer in der Kohte schwelt und manch einer von großer Fahrt erzählt“, dann verbinden viele Pfadfinder*innen nicht nur Feuer- und Kerzenlicht, Klampfenspiel, Gesänge, kuschelige Wärme und Gemeinschaft mit der abendlichen Lagerfeuerrunde, sondern auch eines der geheimnisvollsten Getränke: Tschai.

Um Tschai oder auch Chai ranken sich ja so einige Mythen. In manchen Stämmen ist es das mündlich von Stammesleitung zu Stammesleitung überlieferte Rezept, das den Tschai so geheimnisvoll macht.

Mir erzählte mal jemand, dass ein Stammesleiter von seinen Sipplingen gefragt wurde, warum der Tschai so gut schmeckt. Daraufhin lüftete er das Geheimnis: das Aroma von Socken, die ein*e Gruppenleiter*in mindestens zwei Wochen am Stück getragen hat. Für die Gruppenleiter*innen hieß das dann: zwei Paar Socken kaufen, die Paare teilen, je einen Socken anziehen und ein bisschen über den Lagerplatz laufen, das saubere Gegenstück kurz vor dem Servieren in den Topf geben und demonstrativ herausholen und danach dann beide Socken quasi zum Vergleich präsentieren.

Oder aber es sind die sehr ausgefallenen Zutaten – ein Glas Sauerkirschen, Brühwürfel in Alufolie verpackt, Gummibärchen, Chili, Schokolade, Lakritze, Erdbeeren, Sirup, Dosenpfirsiche, sogar ein Hühnerbein soll schon einmal mitgekocht worden sein.

Die dritte Sache, die Tschai am Lagerfeuer so geheimnisvoll werden lässt, ist die Tschai-Beschwörung oder Zeremonie. Vielerorts ist es verbreitet, klassische bündische Trinklieder wie „Roter Wein“, „König in Thule“ oder „Was sollen wir trinken“ zu singen. Dann geht die Beschwörung los. In meinem Stamm ist die Tschakamulaja-Beschwörung mit Abstand am beliebtesten. Der „Tschai-Geist“ spricht das Wort „Tschakamulaja“ bedeutungsvoll aus, der Rest der Bande antwortet mit einem gemeinsam gezischten „Tschai“. Dies beginnt leise und wird immer lauter, bis die Stimmen sich überschlagen.

„Wenn der dampfende Tee überm Feuer hängt“, ist es also vor allem Zeit, die Tassen zu heben und miteinander wilde Feste in warmen Julinächten zu feiern.

Und? Hast Du jetzt Sehnsucht nach einer wohligen Lagerfeuerrunde in der Jurte?

Weiter unten findest Du nun weitere gesammelte Tschai-Beschwörungen, passende Lieder für eure Tschai-Zeremonie, ein Grundrezept und sogar Auszüge einer wissenschaftlichen Arbeit, die sich unter anderem mit diesem Thema beschäftigt hat.

Tschai-Beschwörungen

„Bevor der Tschai hereingetragen wird, singen wir „Jerchenkow“. Das singen wir auch nur zum Tschai. Während des Liedes betritt der Tschai-Geist, eine Art Zeremonienmeister, die Jurte. Der ist mit Kohtenplanen verkleidet, hat Ruß im Gesicht und eine Kelle dabei. Nach dem Lied wird die Tschaigeschichte erzählt (diese findet ihr weiter unten) und die Geheimzutat probiert. Dann wird ausgeteilt. Während des Austeilens singen wir dann in drei Gruppen „Tee, Wein und Rum“, „Rosinen und Obst“ und „Und Nüsse“. Der Tschaigeist dirigiert das so ein bisschen, mal lauter, mal ganz leise…. Wenn alle Tschai haben, beginnt die Zeremonie: Alle stehen auf, den Tschai vor sich auf dem Boden und sprechen und machen dem Tschaigeist alles nach: „Wir nehmen den Tschai auf, führen ihn zum linken Knie, zum Bauchnabel, wir lieben den Tschai, wir setzen den Tschai wieder ab…“ Irgendwann kommt man am Mund an und darf probieren, dann ist die Zeremonie vorbei, alle setzen sich wieder, trinken und singen ein paar ruhigere Lieder.
Die Herkunftsgeschichte des Tschais, so wie wir sie im Stamm erzählen geht so:

Vor langer, langer Zeit war ein Pfadfinder alleine auf Fahrt in der Mongolei. Es war sehr kalt und er hatte nichts mehr zu essen und zu trinken und war am Ende seiner Kräfte, als er am Horizont ein Licht sah. Mit letzter Kraft schleppte er sich zu dem Licht und kam an einer Jurte an. Die Bewohner nahmen ihn freundlich auf und ließen ihn an ihr Feuer, um sich zu wärmen. Dann gaben sie ihm ein heißes Getränk, dass ihn von innen wärmte und ihm neue Kraft verlieh. Nach ein paar Tagen war er wieder fit und wollte weiterziehen. Er bedankte sich bei den Leuten und bat um das Rezept für das geheimnisvolle Getränk. Man sagte ihm, dass es ein altes Familienrezept sei und nicht weitergegeben werden dürfe. Dann nahm ihn jedoch ein altes Mütterchen zur Seite und steckte ihm einen Zettel mit dem Rezept und ein kleines Fläschchen zu. In dem Fläschchen sei ein letzter Rest vom letzten Tschai und der müsste unbedingt in den neuen Tschai, da der sonst ungenießbar und im schlimmsten Falle sogar tödlich sein könnte. So müsse immer verfahren werden. Der Pfadfinder musste versprechen, das Rezept nur den Ältesten seines Stammes anzuvertrauen. Er bedankte sich und machte sich auf den Heimweg. Und in Gedenken an seine wundersame Rettung trinken wir an jedem letzten Abend eines Lagers den Tschai.

Meistens fordert der Tschai-Geist den Stammesführer oder einen anderen „Würdigen“ (z.B. Lagerleitung, Älterer, der zu Besuch ist, Geburtstagskind…) auf, die Tschaigeschichte zu erzählen. Wenn sie*er das richtig und gut gemacht hat, probieren sie zusammen von der „Geheimzutat“, um sicherzustellen, dass nichts Falsches in den Tschai kommt und er genießbar wird. Dann wird die „Geheimzutat“ in den Topf gekippt, es wird ausgeteilt und die Zeremonie beginnt“.

Von Lisa aus dem VCP via Pfadfinder-Treffpunkt
(das ist ein Forum für Pfadfinder*innen: http://www.pfadfinder-treffpunkt.de/)

 

„Der Tschai wird von den Köchen in den Raum getragen, wo der Rest sitzt. Dann wird versucht den Tschai zu verteilen. Aber was ist das?! Der Topf lässt sich nicht öffnen! Was macht man denn jetzt?

Die einzig logische Schlussfolgerung ist natürlich, dass sich mindestens zwei Personen die Socken ausziehen und beginnen, langsam barfuß um den Topf zu tanzen und dabei die heiligen Worte „Tschaka Mulaja“ zu raunen, woraufhin die Gruppe mit „Tschai“ in der selben Lautstärke antwortet. Bei jeder Wiederholung der heiligen Wörter werden die Tänzer lauter und wilder in ihrem Tanz, bis schließlich so laut gebrüllt wird, dass die Geister aus dem Tschai gefahren sind und man den Topf öffnen kann“.

Von Anton, ursprünglich aus der Heliand Pfadfinderinnenschaft (HMP)

 

Eine sehr interessante Art des Ansingens habe ich auf einem Kurs kennengelernt, sie ist dreistimmig. Die tieferen Männer singen: „Tee, Wein und Rum“. Die Mädels: „Rosinen und Obst“ und die höheren Männer: „und Nüsse“. Also die tiefe Männerstimme gibt den Grundrhythmus an und die anderen wechseln sich sozusagen ab. Ist schwer zu beschrieben, aber wenn man es hört sehr einfach.

Von jannemann aus dem BdP via Pfadfinder-Treffpunkt

 

Bei uns wird der Tschai so beschworen, dass der Topf in die Mitte des Kreises gestellt wird und als erstes geschaut werden muss, ob ein Geist drin ist (klar ist einer drin). Dann müssen sich mindestens zwei Menschen finden, die sich in der Mitte im Kreis verteilen und anfangen langsam durch den Kreis zu tanzen und ganz langsam und leise zu singen: „Tschaka mulaja, …Tschaaai!“
Der Kreis antwortet in derselben Schnelligkeit und Lautstärke. Lautstärke und Schnelligkeit steigern sich jetzt so lange wie man kann und möchte. Dann gucken die Menschen aus der Mitte nochmal in den Topf. Der Topfdeckel zuckt meistens etwas und dann ist klar, wir brauchen noch eine zweite Runde. 🙂 Wenn diese auch geschafft ist, kann der Tschai serviert werden. Dazu gibt es Haselnüsse, Mandeln und Rosinen, die im Kreis gehen, zum in die Tassen geben.

Julia aus der HMP Darmstadt

 

Der Chai markiert das Ende des bunten Abends. Das ist der letzte Lagerabend. Bei uns ist das ein Liederabend, der von Spielen und Sketchen unterbrochen ist. Jeder kann etwas beitragen.

Der Liederabend endet mit dem Lied „Wenn der Abend naht“ Dann fängt meist einer der Gitarrenspieler an zu singen:

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„Tee, Wein und Rum“ (das ist kein Lied, nur diese drei Worte)

Ungefähr 1/3 bis die Hälfte singt mit. Der Rest bildet zwei „Gruppen“; die einen singen „Rosinen und Obst“ und die anderen „und Nüsse“.

Nach einigen Minuten kommen die Chaiköche mit dem Topf herein. Es wird so lange weitergesungen, bis jeder in der Runde Chai in seinem Becher/Haferl/Fürli/Tasse […] hat. Die Lagerleitung beendet den Gesang mit „erhebet euch“, woraufhin (idealerweise) alle still werden und hinter ihren Büchern stehen.

Falls nötig, wird die dann folgende, eigentliche Beschwörung erklärt: Der Chaigeist muss beschwört werden, damit uns der Chai Kraft gibt, die Zeit bis zum nächsten Lager zu überstehen. Dazu macht die Lagerleitung es vor und der Rest macht das nach.

Dafür werden die folgenden Sätze mehr oder weniger inbrünstig gesungen und gegebenenfalls entsprechend gehandelt. Das passiert nicht unbedingt in der Reihenfolge, in der ich das hier aufschreibe. Manches kommt auch mehrfach oder gar nicht vor.

„Wir mögen den Chai“

„Wir lieben den Chai“

„Der Chai ist gut.“

„Wir nehmen den Chai“

„ans linke/ rechte Knie“ (das eigene), „des rechten/ linken Nachbarn“

„an den Nabel“

„an die Nas'“, „Sniff“, „ooooh/ mhhh / Der Chai riecht Gut / Nä“

„ans Ohr“, „horch“, „der Chai hört gut“ (Grammatik, ich weiß)

„Uff de Kopp“, „Ründche gedreht“ (nicht mit Kindern machen, das geht grundsätzlich schief, führt aber zu keinen größeren Verletzungen, da der Chai nicht mehr sehr heiß ist.)

„Und Abgesetzt“

„Chaigeist, wat denn wat denn?“, „jetzt mach endlich“, „jetzt geh‘ da rein“, wir brauchen dich“ (vor allem, wenn die Beschwörung länger dauert)

(„Wir nehmen den Chai“,) „an die Sabbel“ „Prost“

Daraufhin setzen sich alle und trinken und unterhalten sich. Die Beschwörung ist damit beendet und der Abend für die Jüngeren auch.

Lieder zum Tschai:

Roter Wein im Becher

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König in Thule

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Was sollen wir trinken

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Singt, Freunde

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Auf den guten Wind, der uns hergeweht

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Raubritter

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Wenn die Zeit gekommen ist

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Das Dingsda

Roter Mond

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Triodimali

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Grundrezept: Brau‘ Dir Deinen Tschai!

Wasser
Tee (Früchtetee, Schwarztee, …)
Saft (Apfelsaft, Traubensaft, …)
Obst (Orange, Apfel, …)
Nüsse (Haselnüsse, Walnüsse, Mandeln, …)
Gewürze (Zimt, Nelkenapfel*, …)
alles spannende, was Dir sonst noch einfällt
Das Verhältnis von Saft zu Tee/Wasser sollte ungefähr eins zu eins sein. Ansonsten hast Du die größtmögliche Variabilität bei Deinem Rezept! Lass Deiner Kreativität freien Lauf – das wichtigste ist ja sowieso die Atmosphäre… 🙂

Eine wissenschaftliche Perspektive:

JA! Du hast richtig gelesen, es gibt tatsächlich mindestens eine wissenschaftliche Arbeit über Tschai. Um genau zu sein geht es darin um Pfadfindergottesdienste und die Gemeinsamkeiten von Tschai-Zeremonien mit dem christlichen Abendmahl. Den Abschnitt, in dem der Tschai thematisiert wird, leitet der Verfasser, Christian Chinery – natürlich Pfadfinder, beheimatet im VCP – mit folgenden Worten ein:

„Über die Herkunft des „Tschai“ und seiner Rituale gibt es nur vage Vermutungen. Es war kaum möglich, Belegstellen oder gar Literatur zur Thematik zu finden. Dies spricht meiner Meinung nach für die Lebendigkeit dieses Kulturelementes bzw. Kultes. So erschien mir der gedankliche Austausch mit befreundeten Pfadfindern ein fruchtbarer Weg, um sich der Thematik anzunähern. Erste Überlegungen führten mich zu meinem österreichischen Freund phips, der mir empfahl, cheiron von der Pfadfinderschaft Grauer Reiter aus Mannheim anzusprechen. Ein wertvoller Gedankenaustausch mit Jonathan Lenz, einem befreundeten Pfadfinder im VCP-Land Rheinland-Pfalz/Saar, konnte die Parallelen zwischen Abendmahls- und Tschailiturgie aufzeigen“.

Im folgenden Verlauf werden die benannten Quellen aufgezeigt. Du findest sie in diesem Examensarbeit_Christian_Chinery_Tschai-Abschnitt. Ein Durchschauen lohnt sich sehr, denn – soviel sei schon mal verraten – sie beinhalten sozusagen das „Urrezept“ des Tschais.

Du bist neugierig, was sonst noch in dieser Arbeit steht? Dann sei gespannt auf den nächsten Blog-Artikel von mir! Dort werden wir (Christian und ich) die Arbeit nochmal ausführlicher thematisieren und im Gesamten veröffentlichen.

*Damit Du die Nelken vor dem Trinken aus dem Tschai entfernen kannst, gibt es eine grandiose Lösung: den Nelkenapfel. Du steckst so viele Nelken wie benötigt einfach in einen ganzen Apfel und kannst diesen dann später leicht herausfischen.

[Quellen: Pfadfinder-Treffpunkt http://www.pfadfinder-treffpunkt.de/include.php?path=forumsthread&threadid=10901&entries=0 und http://www.pfadfinder-treffpunkt.de/include.php?path=forumsthread&threadid=13239, beide abgerufen am 12.10.2020; Scout-o-wiki https://www.scout-o-wiki.de/index.php?title=Tschai, abgerufen am 12.10.2020; persönliche Kommunikation mit Pfadfinder*innen]

Hinweis: Die Zitate wurden lediglich redaktionell bearbeitet und nicht inhaltlich verändert.

VCP-Blog