Grenzenlos auf Fahrt

von Anna Jüttner

Wenn ich mich in meinem Alltag umschaue, dann sind sie überall. Grenzen. Offene Grenzen. Geschlossene Grenzen. Grenzbeamte. Begrenzte Menschen. Grenzen in den Köpfen. Grenzüberschreitungen. Tarifgrenzen. Leistungsgrenzen. Budgetgrenzen. Ich fühle mich regelmäßig im wahrsten Sinne des Wortes eingegrenzt. Von meiner Umwelt genauso wie von mir selbst.

Wie romantisch und anziehend ist da doch immer wieder der Gedanke sich von allen Grenzen loszumachen, und einfach frei zu sein von allem. Raus aus dem begrenzten Alltag. Grenzerfahrungen machen. Als Pfadfinderin lasse ich mein Leben regelmäßig außerhalb der üblichen Bahnen laufen. Sehr bewusst und voller Genuss. Sei es ein Sommerlager, ein Schulungswochenende oder eine Fahrt mit Freunden. Die Probleme bei denen ich dort an meine Grenzen stoße sind so schön anders im Vergleich zu denen in meinem Alltag.

Fest in meine Erinnerung eingebrannt hat sich dadurch eine ganz intensive Grenzerfahrung die ich vor einigen Jahren auf einer Großfahrt in Schottland gemacht habe: Wir waren zu viert unterwegs und kamen an den Rand eines Moorgebietes, an dessen Ende wir das Meer sahen. Da wollten wir hin. Drei von uns vieren waren der Meinung: ‚Super, alles klar, quer durch und wir sind innerhalb kürzester Zeit da.‘ Eine von vier war der Meinung, wir sollten lieber den Weg nehmen. Einen Umweg, dafür trocken. Aus Demokratie- und Abenteuergründen liefen wir querfeldein. Mindestens eine von vier kam in den nächsten zwei Stunden ganz gewaltig an ihre Grenzen. Die eine war natürlich ich. Und mir ging es nach dieser Durchquerung nicht gut. So ein Moor ist ziemlich nass, unbeständig und vor allem für Laien schwer einschätzbar. Meine drei Fahrtenbrüder merkten, dass ich ziemlich mitgenommen war und legten fürsorglicherweise einen Pausentag mit Schokolade, Meer und Tee ein.

Fahrtenromantik hin oder her, dieses Moor war zu viel für mich. Natürlich ist das heute eine viel erzählte Geschichte, aber noch immer kann ich nicht wirklich mit Stolz auf dieses Abenteuer zurückblicken. Eine Weile habe ich mich gefragt warum sich bei mir nie dieser fröhliche Abenteuerstolz eingestellt hat. Bis ich vor Kurzem vor einer ähnlichen Entscheidung stand. Und mich dieses Mal durchsetzte. Danach war ich zwar etwas enttäuscht, ob des Gefühls des verpassten Abenteuers, aber auch gleichzeitig so, so, so erleichtert. Das war der Moment in dem ich verstanden habe, dass ich damals in Schottland eine Grenze überschritten hatte, die mir nicht gut tat.

Ich habe verstanden, dass es zwei Gründe gibt, warum es sie gibt, diese Grenzen. Der erste Grund ist: Grenzen gibt es, um sie los zu werden. Um sich frei machen zu können und Neues zu erleben. Der zweite Grund ist: Grenzen gibt es, um sie zu akzeptieren. Um sich selbst besser kennen zu lernen. Und liebevoll zu akzeptieren, dass man selbst nicht grenzenlos ist. Und das ist auch gut so.

 

Grenzgang – eine Fahrt nach Ravensbrück

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