Mein Kreuzweg

von Christian Coenen

Das Kreuz wiegt schwer auf meiner Schulter. Ich war selber dabei, als sie es zusammen gebunden haben – gestern. Ein grobes Seil, zwei wuchtige Holzstangen, ein wenig Geschick beim Knoten und fertig ist das Kreuz. Über Nacht muss es geregnet haben, jedenfalls färbt die feuchte Rinde meine Hände und die Jacke an der Stelle, wo es nun auf meine Schulter drückt. Die letzten 10 Minuten haben zwei Jugendliche es gemeinsam getragen, jetzt weiß ich warum.

Vier Stationen liegen noch vor uns – insgesamt sind es sieben. Ich erinnere mich an die katholische Kirche in meiner Heimatstadt. Dort hatte der Kreuzweg 14 Stationen: kleine Holztafeln, jede ein Kunstwerk für sich. Bis ins winzigste Detail sauber geschnitzt, so dass man alleine durch Fühlen bis in ungeahnte Tiefen des Geschehens eintauchen konnte. Kreuzwege gibt es schon lange. Alles hatte damals vor vielen Jahrhunderten mit zwei Stationen in Jerusalem an der „Via Dolorosa“ angefangen, jenem Prozessionsweg, auf dem – angeblich – schon Jesus sein Kreuz nach Golgatha getragen hat. Die Tradition verbreitete sich in der ganze Welt, bald hatten viele Orte eine kleine „Via Dolorosa“. Nach und nach kamen immer mehr Stationen dazu. Schließlich verlegte man das Geschehen dann in die Kirchen. Beinahe jeder Innenraum einer katholischen Kirche bekam einen solchen Weg.
Beim ökumenischen Jugendkreuzweg sind es nur sieben. Mein Rücken wird es danken. Sieben Stationen sind deutsche Tradition. Nur hier – und in den Niederlanden – finden sich alte Kreuzwege mit sieben Stationen. Sie werden auch „Sieben Fußfälle“ genannt, weil die Betenden einst auf ihrem Weg an jedem dieser Haltepunkt auf die Knie fielen.
Einige meiner Begleiter gehen schweigend, viele reden. Ich beschließe auch zu schweigen. Wenn ich wollte, könnte ich das schwere Kreuz einfach loswerden. „Niemand muss – alle dürfen tragen“, so hieß es heute in der Eröffnungsandacht. Um sieben Uhr hat alles in der katholischen Kirche angefangen: ein paar Lieder, eine kurze Einweisung und ein Gebet – schon ging es los. Der Weg wird uns zur evangelischen Kirche des Nachbardorfes führen. Er selbst ist ein gutes Symbol für eine ökumenische Veranstaltung. Übrigens auch der Rückgriff auf die „Sieben Fußfälle“, denn die stammen aus der Zeit, bevor sich die Kirchen getrennt haben.
Wir halten an. Ich richte mein Kreuz auf. Meine Schulter beginnt zu schweben. Irgendjemand liest einen Text, dann noch einer, alle singen aus dem ausgeteilten Liederheft. „Kyrie, kyrie eleison.“ Ich gebe mein Kreuz ab. Das Schwebegefühl meiner Schulter weicht einem dumpfen Pochen. Drei Konfirmandinnen wollen es nun tragen. Sie kichern. Spaß haben die meisten Jugendlichen hier. Vielleicht nicht die angemessenste Emotion angesichts des Leidens und Sterbens Jesu. Vielleicht aber auch doch. Die meisten Menschen hier spüren, dass Gott irgendwie unser Leiden versteht, weil er selbst gelitten hat. Aber das ist nur die eine Seite der Kreuzigung, die andere ist, dass er es für uns getan hat. Das wir darum nicht mehr in dieser Gottesferne leben müssen und deswegen all unser Leid höchstens vorläufiges Leid ist. Stumme Gedanken angesichts der unpassend passenden Freude dreier Konfirmandinnen. Der Zug lässt sich durch all dies nicht beeindrucken. Er setzt sich wieder in Gang auf zur nächsten Station. Drei werden es noch sein an diesem sich dem Ende zuneigenden Tag. Danach noch eine Andacht in der Kirche, dann Schnittchen und Früchtetee.
An diesem Abend komme ich spät nach Hause. Das Kreuz steht jetzt im Pfarrgarten. Die Nacht ist kurz, aber erholsam. Am nächsten Morgen bemerke ich die grünbraunen Flecken auf meiner Jacke. Es wird mir schwerfallen, sie auszuwaschen.

 

Ökumenischer Jugendkreuzweg #beimir

 

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