Festakt auf dem Kirchentag 2023 zu 50 Jahre VCP
Rede zum Festakt anlässlich des 50. Jubiläums des VCP
Liebe Pfadfinderinnen und Pfadfinder, liebe Freunde,
seit 50 Jahren kommen jede Woche Kinder und Jugendliche zur Gruppestunde in Kirchengemeinden und Gruppenräumen zusammen, gehen auf Fahrt oder fahren auf Lager. Pfadfinden im VCP kann zeitlos sein. Ein Blick in die Runde heute genügt; graues Hemd ist graues Hemd, egal ob hier noch die alte Spähernadel der CPD steckt oder der Aufnäher vom Bundeslager 2022. Und damals wie heute können wir benennen, was der VCP einem mitgibt: Freundschaft, Gemeinschaft, Selbstbestimmung, Verantwortung. Spaß und Abenteuer.
Pfadfinden im VCP heißt nämlich immer auch Teil der Gesellschaft sein und in dieser auch Verantwortung übernehmen zu wollen. Der „mündige Staatsbürger“, den der Gründer der Pfadfinderbewegung, Robert Baden-Powell, seinen scouts ins Buch geschrieben hat, findet Widerhall in dem Grundsatz, sich kritisch und konstruktiv in die Gesellschaft einzubringen. Das war und ist VCP. Und reicht von selbstverständlichem Helfer*innen-Dienst auf einem Kirchentag bis zu Einsatz für Staat, Kirche und Gesellschaft. Viele Lebensläufe unserer Mitglieder tragen dem Rechnung.
Sich als Teil von Gesellschaft zu verstehen, bedeutet aber immer auch, die Konflikte und Brüche, die Wandel und Veränderungen dann auch im Verband auszuhandeln. Der VCP ist eben auch ein Verband, der in seiner Geschichte immer wieder mit und an sich selbst gerungen hat. Die Alten unter uns werden es noch wissen (und wir haben es schon gehört). Dass der VCP überhaupt das Licht der Welt erblickt hat, war keine romantische Liebeshochzeit, sondern das Ergebnis harten Ringens um Koedukation und die Veränderung der Gesellschaft in den 1970er Jahren. Es ist eine der Stärken des VCP, damals wie heute, nicht einen elitär-bündischen Duktus zu haben; sich lieber aus dem Wirbeln der Geschichte herauszuhalten und das einmal geschaffene zu bewahren, sondern sich immer wieder den Fragen der Zeit zu stellen. Und damit auch immer wieder im Verband um den „richtigen“ Weg zu streiten.
1973 nun stehen die drei evangelischen Pfadfinderinnen und Pfadfinderverbände EMP, BCP und CPD vor der Entscheidung, den sich verändernden Bedingungen Rechnung zu tragen. Mädchen und Jungen wollen nicht mehr getrennt voneinander Pfadfinder*innen sein. Die alten Strukturen der Verbände schafft keinen Raum für Veränderung. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, wird mit viel Kraft der VCP gegründet.
Wer in den alten Protokollen und Zeitzeugenberichten liest, hört immer auch ein Stück Wehmut über die Gründung mitschwingen. Der VCP ist neu, und eben nicht die Fortführung der alten Heimat, sei es EMP, BCP oder CPD, in neuem Gewand. In vielen der Antworten auf unsere Einladung zur Verleihung der Ehrennadel 50 Jahre VCP klingt das noch nach:
„Ich bin aber eigentlich schon seit 19xx bei der CPD, bei den EMP, u.s.w.“.
Da wo ich mein erstes Stück Holz gehackt habe und meine erste Andacht gehalten habe, da ist eben auch meine Pfadi-Heimat.
Aber der VCP ist vor allem erstmal Neubeginn! Aus den alten Bekenntnisschriften der Vorgängerbünde wird „Aufgabe und Ziel“. Der Blick auf den christlichen Glauben und wie er den Verband prägt und prägen wird verändert sich und auch die Strukturen tragen dem neuen Geist Rechnung. Nicht allen gefällt dieser neue Wind und so ist auch die Ausgründung einiger Stämme und Regionen in die neue CPD aus dem VCP heraus Teil unserer Geschichte. Mehr und mehr wird der VCP auch ein Verband, in dem politisches Lernen ganz praktisch über seine demokratischen Strukturen erlebt und erlernt wird.
Wer einmal eine Debatte über die Änderung der Wahlordnung auf einer Bundesversammlung miterlebt hat, ist für alle Vereinssitzungen dieser Republik mehr als vorbereitet!
Der VCP will politisch sein und die Debatten der Friedensbewegung, der Anti-Atomkraftbewegung und die Wiedervereinigung finden auch im Verband statt. Hier wird im Kleinen um genau die Dinge gerungen, die das Große dann erst werden lassen.
Grade die Wiedervereinigung hat den Verband nochmal vor große Herausforderungen gestellt. So gab es in den 1990er Jahren nur noch sehr sporadische Anknüpfungspunkte an evangelische Pfadfinderarbeit in den ostdeutschen Bundesländern und der „Aufbau Ost“ im VCP lief auch im Zwiespalt von „Wir zeigen euch jetzt mal wie das richtig geht“-alter BRD Mentalität und Mitnehmen von Strukturen und Traditionen, die es doch noch gab. Wie auch im großen Bild der deutschen Geschichte ist auch im VCP nicht immer alles ohne Verletzung und Unverständnis vonstattengegangen.
Bis heute zieht sich das Thema Wiedervereinigung auch durch den Verband. Auf dem Bundeslager im letzten Jahr hat das Teillager Trabantenstadt, durchgeführt durch den VCP Sachen und den VCP Mitteldeutschland, eindrucksvoll und mutig das Thema der Teilung Deutschlands, Unrechtsstaat und Wiedervereinigung aufgenommen und inhaltlich für die aktuelle Pfadfinder*innen Generation erlebbar gemacht. Mit Grenzzaun, Mauerfall und Trabi-Parade wurde die Wendezeit noch einmal in einer Form angeschaut, wie es durch einen westdeutschen Landesverband nicht möglich gewesen wäre. Und jedes Mal sind solche Debatten auch eine Herausforderung innerhalb der Generationen des Verbandes.
Die Älteren haben ihre Kämpfe schon gefochten und würden „ihren“ VCP jetzt gern so lassen und die Jungen wollen voller Tatendrang ihre Vorstellung der Welt ausfechten. Das ist und war nicht einfach! Aber das stete Aushandeln und Aushalten der unterschiedlichen Strömungen im Verband bei gleichzeitiger Vergewisserung der Gemeinsamkeit gehört und gehörte zum Grunderleben im VCP.
Denn auch das ist der VCP: Die regionale Prägung war immer vorhanden. Landeskirche oder Bundesland; Jedes VCP-Land hatte und hat auch wieder seine eigene Geschichte. Auch hier steht der VCP wieder im Kontext von Staat und Kirche. Bundesland und Landeskirche mit all ihren Traditionen und Prägungen sind auch Teil von Bundesrepublik und EKD, ohne sich zu gleichen.
Wenn in zwei Wochen die 54. Bundesversammlung des VCP tagt, wird es auch wieder um ein großes gesellschaftliches Thema gehen. Geschlechtergerechtigkeit. Was machen wir mit dem Verbandsnamen? Wollen wir mit dem Genderstern alle Menschen einbeziehen oder nicht? Die Debatte um Schreibweise und Identität wird in Deutschland mit harten Bandagen und zum Teil unter der Gürtellinie geführt. Extreme auf beiden Seiten befeuern die Verschärfung der Debatte und ein echter Diskurs kommt selten zustande. Es kostet den Verband viel Kraft, diese Kämpfe auszuhalten und trotz hochkochender Debatte einen gemeinsamen Pfad zu finden. Aber wo, wenn nicht bei uns soll so etwas möglich sein. Wir glauben daran, dass dieses Ringen und Aushandeln und aneinander reiben am Ende zu einem guten Ergebnis führt.
Und die Menschen, die daran beteiligt sind, Pfadfinderinnen und Pfadfinder, hier Erfahrungen machen, die sie ihr Leben lang prägen werden und, so glaube ich fest, zu besseren Menschen werden lassen.
Heute steht der VCP als evangelischer Pfadfinderverband auch im Kontext von Christentum in Deutschland im neuen Jahrhundert. Die Kirche befindet sich in einem Transformationsprozess und als Partner steht der VCP hier nicht am Rande, sondern ist Teil dieses Prozesses. Der Gruppenraum in der Gemeinde, das Osterfeuer, die Friedenslichtandacht, der Dachboden für Material. Die Verbindungen allein auf der Stammesebene zwischen Kirche und VCP sind eng. Und gleichzeitig sind wir ein Verband eigener Prägung. Das „C“ im VCP ist auch eines der Themen, mit denen sich der Verband mit großem Ernst und Leidenschaft regelmäßig auseinandersetzt. Den Frommen im Verband ist der VCP dann nicht fromm genug und den Liberaleren ist mancher Ritus zu eng.
Im VCP kommen Menschen in Kontakt zum Glauben und zum Evangelium, die schon lange ihre Kontaktpunkte zur Amtskirche verloren haben. Nicht wenige finden über den Verband zurück zur Kirche.
Und auch beim Thema Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt sind Kirche und VCP aufeinander angewiesen. Es gab und gibt auch im VCP Fälle sexualisierter Gewalt. Das so klar zu benennen und hier eine lückenlose Aufklärung voranzutreiben, Opfer ernst zu nehmen und Prävention weiter zu professionalisieren ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Wir starten hierzu in diesem Jahr einen externen Aufarbeitungsprozess. Und wir werden nicht müde werden auch die Kirche hier mit in ihre Verantwortung zu nehmen.
Und auch das ist vielleicht ein Unterschied: Während die Mitgliederzahlen der Kirchen über die letzten Jahre immer weiter zurückgehen, hat der VCP im letzten Jahr auf seiner Bundesversammlung beschlossen, seine Mitgliederzahlen zu verdoppeln! Und bevor jetzt alle erschrocken nach Luft schnappen oder sich mitleidig an die Stirn tippen: Wir haben das sehr bewusst gemacht.
Wer den Reden und auch meinen vorangegangenen Worten zugehört hat, wird sich einen VCP vorstellen, bei dem es sich lohnt, dabei zu sein. Pfadfinder*in im VCP sein ist großartig! Und wenn mehr Menschen bei uns Erfahrungen machen können, hinterlassen wir – und ich zitiere wieder Baden-Powell – die Welt ein kleines Stückchen besser, als wir sie vorgefunden haben. Der Fokus auf Wachstum geschieht im Verband nicht planlos oder naiv. Wir haben eine Strategie und wir können heute schon sagen: Unsere Mitgliederzahlen steigen bereits!
Und so schauen wir mit Dankbarkeit zurück auf 50 Jahre VCP und mit frohem Mut und Vorfreude auf die noch kommenden Jahre.
Dankeschön.