Sehnsucht nach Freiheit beim Pfadfinden: Merle

Sören Bröcker interviewt Merle Lorentzen zu ihren Erfahrungen als Leiterin in einem Pfadfinderstamm

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Sören: Was ist für dich Freiheit?

Merle: Freiheit ist für mich die Möglichkeit, das zu tun, was ich möchte. Ohne große Einschränkungen.
Meinen eigenen Weg zu gehen.Eigene Entscheidungen zu treffen.
Etwas zu bewegen und meine eigenen Grenzen selbst herauszufinden.

Sören: Weshalb bist du bei den Pfadis?

Merle: Ich bin nun schon seit mehr als 10 Jahren dabei. Es begann damit dass ich meine Freundin Nicole fragte, ob die Zeit hat und wir was zusammen machen sollen. Sie wollte jedoch zu der Gruppenstunde der Pfadfinder. Da bin ich einfach mitgekommen. Es hat mir sehr gut dort gefallen. Die Leute waren nett und das Programm an diesem Tag (Morsen) war sehr witzig.
Ich ging also weiter zu den Gruppenstunden. Als ich dann älter wurde, hatte ich eine eigene Sippe und ich fand Freude daran, die Gruppenstunden vorzubereiten, den Kindern was beizubringen und mit ihnen Zeit zu verbringen. Besonders gefiel mir, dass meine Freundin Nicole mit mir die Gruppe leitete.
Ich glaube, der wichtigste Grund, warum ich bei den Pfadis bin, ist die Gemeinschaft. Der Kontakt zu anderen Stämmen und die Freundschaften, die sich entwickelt haben.

Sören: Welche Leitungsaufgaben kannst/konntest du übernehmen?

Merle: Wenn es nach unserem Stammesleiter gehen würde, hätte ich gar keine Aufgaben übernommen.
Ich musste mich ziemlich dafür einsetzen, Verantwortung übernehmen zu dürfen. Das Problem hatten die anderen Mitarbeiter auch.

Sören: Welche Leitungsaufgaben hast du übernommen?

Merle: Wie schon erwähnt habe ich eine eigene Sippe betreut. Ich bin mit ungefähr 19 in den Stammesrat gekommen. Ich habe mit 20 die Sanitätsaufgaben übernommen und außerdem als Rettungsschwimmerin fungiert. Ich habe vereinzelt noch kleine Aufgaben übernommen, die so anfielen.

Sören: Welche Leitungsaufgaben durftest du nicht übernehmen?

Merle: Im Bereich Anschaffungen hatten weder Mitarbeiter noch Leiter großes Mitspracherecht. Das wurde alles von unserem Stammesleiter geregelt, obwohl wir uns sehr gerne einbringen wollten.
Es gab tatsächlich auch Treffen, um über neue Anschaffungen zu diskutieren. Unsere Ideen und Einwände wurden jedoch sehr schnell abgetan und häufig nicht mal wahrgenommen.

Sören: Wo gab es Spannungsfelder? Warum?

Merle: Es gab fast in allen Bereichen unseres Pfadfinderstammes Spannungsfelder. Das Problem war, dass man seine Meinung nicht offen gegenüber des Stammesleiters kundgeben konnte, ohne eine Grundsatzdiskussion zu entfachen. Doch der Stammesleiter kann keine Kritik ab. Das hatte zu Folge, dass er eine unserer Mitarbeiterinnen rausschmeißen wollte, die öfter mal Einwände und Kritik gegenüber seiner Arbeit geäußert hatte. Er hat sein Vorhaben zuvor uns anderen Mitarbeitern erläutert. Wir waren geschlossen dagegen, was ihn davon abbrachte.
Mit zunehmendem Alter habe ich mich auch immer mehr für meine und die Meinung anderer stark gemacht. 2015 hat er mich grundlos aus dem Stamm geschmissen. Meiner Meinung nach lag es daran, dass ich meine Meinung vertreten habe. Ich habe gelegentlich Kritik geäußert. Die anderen Mitarbeiter haben davon auch nichts gewusst, was mich davon ausgehen lässt, dass es ein persönliches Problem war.

Sören: Wie ist es, wenn ein Erwachsener, ein Pastor oder Elternteil die Leitung übernimmt?

Merle: Es kommt immer darauf an, wer die Leitung übernimmt. Einige Erwachsene geben nichts aus der Hand, wollen immer die Kontrolle über alles behalten. Andere wiederum lassen den Sippenleitern im Umgang mit den Gruppen freie Hand und vertrauen ihnen.
Nichts desto trotz….. Im Regelfall kann man davon ausgehen, dass die Interessen der jungen Pfadis untergehen, je älter der Stammesleiter ist. Er glaubt zu wissen, was den Kindern gefällt, ist aber auch sehr um die Sicherheit besorgt. In gewissem Maße ist das natürlich richtig. Jedoch bleibt den Kindern oft die Chance verwehrt, auch an ihre Grenzen zu gehen und vielleicht auch mal „auf die Nase zu fallen“.

Sören: Wie groß war die Sehnsucht nach Freiheit für dich?

Merle: Sehr! Ich wollte Verantwortung übernehmen. Ich war voller Tatendrang und war mit Herz und Seele Pfadfinder. Doch es wird deprimierend, wenn man immer wieder gebremst wird und nicht mal die Chance bekommt, die Ideen und Pläne vorzustellen.

Sören: Wie würdest du einen Stamm gründen?

Merle: Ich würde keinen eigenen Stamm gründen. Dafür kenne ich meine Grenzen zu gut. Mir fehlt die Zeit.
Theoretisch würde ich jedoch die Stammesarbeit zum größten Teil in die Hand der Jugendlichen legen. Ich würde grundlegende Bereiche wie Finanzen, Materialmanagement, …. an Personen abgeben, die dazu auch Lust haben.
Die Erwachsenen können natürlich mit Rat und Tat zur Seite stehen und auch kleinere Aufgaben übernehmen. Aber Pfadfinden ist für meine Begriffe eine Organisation, die den Jugendlichen und Kindern die Möglichkeit geben soll, sich auszuleben und Erfahrungen zu machen.
Auch die Kleinsten sollten Mitspracherecht haben und ihre Meinung kund tun dürfen.

Sören: Wo hast du deine Freiheit begrenzt gesehen?

Merle: In fast allen Bereichen . Man wurde immer überwacht und hatte keine freien Möglichkeiten, seine Ideen zu verwirklichen. Das ist für mich keine volle Freiheit! Man ist begrenzt in seinen Möglichkeiten

Sören: Was machst du nach deinem Jahr in Indien – pfadfinderisch?

Merle: Ich werde vorerst schauen, wo ich beruflich und privat lande. Mein Ziel ist jedoch einem neuen Stamm beizutreten. Ob wieder beim REGP oder vielleicht beim VCP ist noch nicht sicher. Ich werde mir mehre Stämme anschauen.
Jedoch möchte ich aktuell keine großen Leitaufgaben mehr übernehmen.

Sören: Inwieweit wird das Thema „Alte Säcke“ thematisiert?

Merle: Im Wesentlichen wurde das Thema nicht groß be- oder angesprochen. Es gab immer wieder persönliche Gespräche darüber. Jedoch wurde es nie groß zur Sprache gebracht.

Sören: Was macht für dich Pfadfinden aus?

Merle: Auf jeden Fall die Gemeinschaft. Man lernt bei den Pfadfindern so viele Leute kennen

Sören: Einmal PfadfinderIn immer PfadfinderIn? Wo siehst du dich in 5,10,20 Jahren pfaditechnisch?

Merle: Das ist immer Ansichtssache. Wenn man aber wie ich mit so viel Freude dabei ist, trifft es voll und ganz zu. Manche sind jedoch einige Jahre dabei und merken, dass es doch nicht das richtige für sie ist.

Sören: Wie alt sollten Gruppenleitungen sein?

Merle: Für die Leitung eines Stammes sollten sie auf jeden Fall volljährig sein. Eine Altersgrenze nach oben ist jedoch schwierig. Ich würde sagen, es kommt immer auf das Verhältnis zwischen Leitung und Mitarbeitern an. Wenn die Leiterin oder der Leiter die Interessen der Mitarbeiter teilt, kann sie oder er auch 40 sein. „Man ist immer so alt , wie man sich fühlt“

Sören: Siehst du G8 (verkürzte Schulzeit) für einen jugendgeleiteten Stamm als Gefahr?

Merle: Dazu kann ich mich nicht groß zu äußern, weil es diese Situation bei uns noch nicht gegeben hat.
Ich denke jedoch, dass es für den Stamm keine gravierenden Auswirkungen hat, solange der Stamm genug Nachwuchs hat. Fehlen die Leute ist es natürlich etwas anderes.

Sören: Demokratische Stammesleitungswahl?

Merle: Unbedingt! Meiner Meinung nach müssen alle großen Entscheidungen im Stamm besprochen und eventuell auch abgestimmt werden. Ich habe selbst erlebt, das in einem „diktatorischen“ Stamm Chaos auftritt. Ich möchte behaupten, dass mit einer Demokratie dagegen gewirkt wird.

Sören: Warum leiten so viele Erwachsene deiner Meinung nach einen Pfadfinderstamm, obwohl Pfadfinden doch eine Jugendbewegung ist?

Merle: Ich denke es wird von vielen Seiten angenommen, dass Erwachsene die besseren oder vernünftigeren Entscheidungen treffen. Doch heißt mehr Lebenserfahrung vernünftigeres Handeln? Vor allem in Hinsicht auf die Interessen der Jugendlichen?

Sören: Ab wann ist man erwachsen?
( in Abhängigkeit zu Leitungsaufgaben)

Merle: Das ist natürlich von Person zu Person unterschiedlich. Ich finde wenn man Verantwortung für andere tragen kann, ist man dem „erwachsen sein“ schon ziemlich nahe.

Sören: Welche Vorteile siehst du bei einer erwachsenen Stammesleitung? (Elternteil, Pastorin oder Diakon, etc.?) Und welche Nachteile siehst du in dieser Form?

Merle: Einige Erwachsene geben nichts aus der Hand, wollen immer die Kontrolle behalten und haben über alles die Kontrolle. Andere wiederum lassen den Sippenleitern im Umgang mit den Gruppen freie Hand und vertrauen ihnen.
Nichts desto trotz….. Im Regelfall kann man davon ausgehen, dass die Interessen der jungen Pfadis untergehen, je älter der Stammesleiter ist . Er glaubt zu wissen was den Kindern gefällt, ist aber auch sehr um die Sicherheit besorgt. In gewissem Maße ist das natürlich richtig. Jedoch bleibt den Kindern oft die Chance verwehrt an ihre Grenzen zu gehen und vielleicht auch mal „auf die Nase zu fallen“.

Wie viel älter sollte ein Gruppenleiter mindestens sein als seine Sipplinge?

Merle: Das kommt natürlich auch immer darauf an, wie alt die Gruppenkinder sind. Ich finde, bei Sipplingen von 8 Jahren sollte der Gruppenleiter um die elf/zwölf Jahre sein. Es kommt auch sehr auf das Verantwortungsbewusstsein des Gruppenleiters an, weshalb das Alter nur eine kleine Rolle spielt. Aber die Sipplinge sollten nicht den Respekt verlieren.

Wie wichtig ist dir das Christliche bei den Pfadfindern? (Kirchliche Prägung)

Merle: Ehrlich gesagt nicht sehr. Sicher, es gehört dazu und ist auch in vielen Fahrtenliedern verankert, aber ich könnte tatsächlich(abgesehen von den Liedern, die teilweise sehr schön sind) ohne christliche Einflüsse mein Pfadfinderleben weiterführen.

Wenn du wählen kannst…

Bindung oder Freiheit? Freiheit
Arbeit oder Zeit? Zeit
Team oder Einzelarbeit? Team
Jung oder Erfahren? Jung
Mann oder Frau? Frau
Pastor oder Elternteil? Elternteil
Kleine Gruppe oder alle zusammen? Kleine Gruppe
demokratische Prozesse oder feste Leitung? Demokratische Prozesse
regional oder weltweit? weltweit

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