Für Ranger und Rover: „Analyse und Kritik des Wahlprogramms der AfD“

Foto: Am Infostand der AfD VCP/Fabian Neubrand
Am Infostand der AfD
Foto: VCP/Fabian Neubrand

 

In unserem anderen Beitrag Richtig (pfadfinderisch) wählen! haben wir bereits vorgeschlagen, Wahlprogramme aus einem pfadfinderischen Blickwinkel zu diskutieren. In Bezug auf die selbsternannte Alternative für Deutschland (AfD) ist dieses Vorhaben besonders spannend, da diese Partei mit rechtspopulistischen Forderungen vermutlich der Intention des Bundesversammlungsbeschlusses „Auf gute Nachbarschaft“ deutlich widerspricht. Für eine fundierte Kritik der AfD ist es aber notwendig, auch deren Programm zu kennen. Dies bietet auch die Möglichkeit, die eigene Position zu schärfen und zu festigen.

Gleichzeitig ist die Analyse und Kritik des Wahlprogramms der AfD aber auch besonders schwierig: Nicht nur, dass es am unverständlichsten geschrieben ist – oft ist es euphemistisch, schwammig und ungenau formuliert. Grundannahmen, die für das Verständnis und für die Beurteilung notwendig sind, werden meist nur implizit angesprochen.

Deshalb geben wir in diesem Beitrag ein paar weitere Tipps für die Analyse und Kritik des Wahlprogramms der AfD. Das kann man beim Gruppentreffen der Ranger/Rover-Runde machen, aber zur Not auch alleine.

Ziel

Analyse und Kritik (von Teilen) des Wahlprogramms der AfD. Dabei geht es darum, die Argumentation des Wahlprogramms zu verstehen. Darüber hinaus soll das Wahlprogramm in Bezug auf logische Fehler und auf zugrundeliegende Welt- und Menschenbilder kritisiert werden.

Benötigtes Material:

Wahlprogramme in ausreichender Anzahl, Stifte, Zettel, großes Papier

Zeit:

60-90 Minuten

Ablauf:

Die Gruppe teilt sich in Kleingruppen, die sich für bestimmte Teile des Wahlprogramms einer Partei entscheiden (bei kleinen Gruppen muss sich die Gruppe nicht aufteilen). Die Gruppenmitglieder lesen gemeinsam die entsprechenden Abschnitte und klären Verständnisfragen.

Anschließend fassen sie die Inhalte des Programms in einer Tabelle mit folgenden Spalten zusammen: Problemsymptom(e), Ursache(n), Lösung(en), zugrundeliegendes Menschen- und/oder Weltbild. An dieser Stelle geht es vornehmlich um die Denkweise der AfD, nicht um die eigene Meinung.

Danach stellen sich die Kleingruppen ihre Erkenntnisse gegenseitig vor. Gemeinsam diskutiert die gesamte Gruppe. Dabei können folgende Fragen helfen: Existieren die Probleme tatsächlich? Sind die Ursachen richtig erkannt? Passen die Lösungsvorschläge zu den Ursachen und den Problemen? Ist das Programm in sich kohärent oder widerspricht es sich selbst? Welches Welt- und Menschenbild liegt Problem/Ursache/Lösung zu Grunde? Und letztlich die wichtigste Frage: Wie stehen wir selbst zu dem, was wir gelesen haben?

Tipp:

Man kann die erworbenen Kenntnisse auch anwenden, zum Beispiel im Streitgespräch mit AfD-Sympathisanten oder –Mitgliedern.

Hinweis:

Natürlich kann man diese Methode auch auf jede andere Partei anwenden. Wir haben uns an dieser Stelle aber für die AfD entschieden, da sie für unsere Kampagne „Auf die Plätze gegen Hetze“ das interessanteste Objekt ist.

Ein Beispiel: Einleitung von „Kultur und Medien“

Problemsymptom Ursache Lösung Welt- und Menschenbild
–       Errungenschaften deutscher Kultur sind in Gefahr –       Kulturkampf zwischen „Abendland und dem Islam“ (S. 47) –       Zivilgesellschaften sollen ihre eigene Kulturen schützen

–       „Bündel von defensiven und restriktiven Maßnahmen“

–       „Kultur“ als etwas festes, das nur sehr schwer wandelbar ist

–       Kulturen können sich nicht vermischen und bereichern

 

Schon allein das Aussehen der Tabelle zeigt deutlich, dass in dem relativ langen Absatz letztlich wenig Inhalt steckt. Kritisieren könnte man verschiedene Punkte:

  • Die historische Herleitung der deutschen „Leitkultur“ ist mehr als merkwürdig: Die vier Wurzeln – Antike, Christentum, Humanismus, Aufklärung – gelten auch für die meisten anderen europäischen Staaten. Tatsächlich wäre demnach die französische Kultur die eigentlich bessere deutsche Kultur. Auch ansonsten liefert die AfD keine wirkliche Definition von „deutscher Kultur“ und auch keine Kriterien, aus denen man so eine Definition bilden könnte.
  • Nach diesen Ungenauigkeiten folgt in den nächsten Sätzen ein bestenfalls schwer nachvollziehbarer Kausalzusammenhang: Die AfD behauptet, dass sich unter anderem soziale Marktwirtschaft und Kreativität aus einer spezifisch deutschen Kultur ergeben hätte. Eine Begründung oder irgendeine Erklärung liefert die AfD dazu nicht.
  • In Bezug auf die dürftigen Stichpunkte in der Tabelle fällt sofort auf, dass die vorgeschlagenen Lösungen noch schwammiger und unklarer sind als die Problem- und Ursachenbeschreibungen. Tatsächlich bietet die AfD überhaupt keine konkreten Lösungsvorschläge an – was genau ein „Bündel von defensiven und restriktiven Maßnahmen“ sein soll, ist völlig unklar, lässt aber Raum für die schlimmsten Befürchtungen.
  • Das Gefährliche dieses Abschnitts liegt aber in dem zugrundeliegenden Kulturverständnis: Die AfD geht davon aus, dass „Kultur“ auch über lange Zeiträume unflexibel, sogar fast schon unveränderlich ist. Laut dieser Partei wird man geradezu in eine Kultur hineingeboren. Damit ist dieser Abschnitt ein gutes Beispiel, wie „Kultur“ anstelle von „Rasse“ die Begründung für Separierung und Ausgrenzung liefert – eine typische Argumentation der sogenannten Neuen Rechten. Die Argumentation der AfD ist dabei denkbar simpel: Da Kulturen nahezu unveränderbar und nicht miteinander kompatibel sind, sollten Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen nicht gemeinsam leben. Diese Argumentation wird aber komplett hinfällig, wenn man weiß, dass es erstens nicht die eine „deutsche Kultur“ gibt (genauso wenig wie die eine französische, polnische, türkische oder syrische) und dass sich zweitens Kulturen immer im Wandel befinden.
  • Dass die AfD aber nicht nur ein kulturalistisches Volksverständnis vertritt, sondern durchaus auch auf ältere, rassistisch-biologische Denkweisen zurückgreift, zeigt sich an anderer Stelle. Im fünften Kapitel fordern sie auf Seite 32, dass die deutsche Staatsangehörigkeit nur über Vererbung erlangt werden kann.

Ausschnitt AfD-Wahlprogramm

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