50 Jahre VCP – Ein Blick auf die Gründungszeit

Foto: Florian Trykowski

Vor 50 Jahren, am 01.01.1973, wurde unser Verband, der VCP gegründet. Zu den gesellschaftspolitischen Hintergründen der VCP Gründung in den späten 1960er und frühen 70er Jahren hat Max einen Artikel im VCP Blog geschrieben. Den lohnt es sich sehr zu lesen.

Mein Beitrag knüpft daran an:

Die gesellschaftlichen Veränderungen der 60er und 70er Jahre in Deutschland gingen vor allem von Student*innen aus. Sichtbar ausgetragen wurden die Konflikte der Zeit auf der Straße als 68er*-Student*innenbewegung.

Ich habe mir angeschaut, wie die 68er*-Bewegung die Gründung des VCP beeinflusste.

Die Vorgängerbünde

Dazu habe ich mir die drei evangelischen Vorgängerverbände des VCPs Ende der 60er Jahre angeschaut, den (männlichen) CPD oder auch CP (christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands) und die weiblichen Bünden EMP (Evangelischer Mädchen-Pfadfinderbund) und den bayrischen BCP (Bund Christlicher Pfadfinderinnen). Die Bünde waren wie gesagt geschlechtergetrennt und in der Nachkriegszeit noch konservativ geprägt. Dabei stand das Christentum im Zentrum ihrer Jugendarbeit.

Die 68er*

In die Zeitspanne des Zusammenschlusses der drei Bünde fällt auch die 68er*-Bewegung. Sie war eine breit aufgestellte progressive Protestbewegung ohne klare Strukturen (anders als z.B. die Pfadfinder*innenverbände mit ihren Gremien und gewählten Ämtern). Ihre Aktionsformen und ihr Auftreten waren provokativ und nötigten die Gesellschaft zur Auseinandersetzung. Langfristig stießen sie so gesellschaftliche Fortschritte wie z.B. die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, Feminismus, Umweltschutz und die Liberalisierung und Demokratisierung konservativer Strukturen, beispielsweise an den Hochschulen an.

Wichtige Ereignisse spielten sich von 1967 bis 1968 ab, wie die Proteste gegen den Schahbesuch in Berlin, die Proteste nach der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorgs, das Attentat auf Rudi Dutschke und schließlich die Verabschiedung der sogenannten „Notstandsgesetze“.

Die These

Dieser Zeitraum liegt wenige Jahre vor 1973. Das hat mich zu der These geführt, dass die 68er* mit ihrem Wirken die Gründung des VCP beeinflusst, vielleicht sogar herbeigeführt haben.

Der Gründungsprozess

Um diese These zu untersuchen, habe ich mir zuerst den Gründungsprozess des VCP angeschaut und musste feststellen, dass der weit vor 1973, ja sogar weit vor 1968, nämlich spätestens 1961 begann. In den Vorgängerbünden wurde bereits Anfang der 1970er Jahre über eine Modernisierung nachgedacht. Das zeigt sich an  Veröffentlichungen wie

  • Gruppe – Führung – Gesellschaft 1961
  • die neuen CPD Grundsätzen auf dem Bundesthin 1962,
  • die neue Ordnung für den Bundesthing 1965
  • und die „Josephsthaler Konsultation“ 1967

Nach 1968 ging der Zusammenschlussprozess der drei Verbände weiter mit einem Beschluss der CPD, sich für die geschlechtsgemischte Arbeit mit der EMP zu öffnen und mündete schließlich 1973 in die offizielle Gründung des VCP.

Drei Jahre später spaltete sich eine konservative Strömung im Verband als CPD e.V. wieder ab.

Der Gründungsprozess des VCP begann also ganz offensichtlich viel früher als 1968. Wenn die 68er* die Gründung nun nicht ausgelöst haben, bleibt doch die Frage, ob sie den Prozess nicht zumindest geprägt haben.

Der Einfluss der 68er*

Um den Einfluss der 68er* auf den Zusammenschluss zum VCP zu untersuchen habe ich mir verschiedene Quellen angeschaut.

Zeitzeugen

Zunächst: Was sagen die Menschen, die damals als Pfadfinder*innen in den Bünden aktiv waren?

Albrecht Sudermann aus der CPD schreibt 2013 in Kreuz und Lilie  über die Jahre:

Es „… springen dann Ende der sechziger Jahre die Themen der Studentenbewegung wie „Selbstentfaltung“ oder „Demokratisierung“ auf die CPD über, (und) […] lösen dort […] heftige Veränderungsbemühungen in Bezug auf den eigenen Bund aus“ .

In der Rückschau schreiben also Akteure aus der Zeit der 68er-*Bewegung eine Beeinflussung der Schwerpunktthemen und der Ausrichtung des neuen Verbandes VCP zu.

Wie aber sah das konkret aus?

Verbandszeitschriften

Auch die „anp“ (auf neuem Pfad) gab es damals schon. Sie war von 1921 an bis 1938 und von 1951 bis heute die Verbandszeitschrift von CPD und VCP. Wenn also die 68er-Themen den Verband geprägt haben, müsste sich das doch auch in den Artikeln in der Verbandszeitschrift in den Jahren 1967 bis 1970 niederschlagen.

Diese Hypothese hat sich nicht bestätigt. Auch die Artikel der „anp“ waren schon weit vor dem Wirkzeitraum der 68er* politisch (1958: „Es geschah im Namen Deutschlands“, 1961 „ Wem gehören die Zeitungen“ und „Der Manipulierte Bürger“, 1963: „Darf Krieg noch sein?“) . Eine Verdichtung 68er* spezifischer Themen konnte ich in der Zeit nicht feststellen.

Anders sieht es bei einer anderen Verbandszeitschrift aus. Spannend ist: Das „Ding“ erschien als Verbandszeitschrift der CPD Württemberg nur explizit in den Jahren nach 1968 (1969 bis 1971) und mit den Themen der 68er* („Biermann, Dutschke und die anderen“, „Hochschulprobleme“, „Emanzipation der Frau“, „Unser Großbericht über die Umweltzerstörung“) im Fokus.

Gremien

Und auch in den verbandsinternen Entscheidungsstrukturen kann sich ein Abdruck des Rufs der 68er* nach mehr Partizipation der Jugend und mehr Demokratie wiederfinden. Der bisher top-down entscheidende Bundesthing/Bundesversammlung wurde um einen Bundesrat ergänzt und die untergeordnete Länderebene schrittweise gestärkt.

Bundesordnung

Auch der eigene Anspruch des neu gegründeten VCP in der Bundesordnung als „Aufgabe und Ziel“ niedergeschrieben, ging in eine neue, viel politischere und progressivere Richtung als bei den bündischen christlichen und konservativeren Vorgängerbünden:

„Aufgabe und Ziel“

„ […] dient der […] Reflexion der […] sozialen und politischen Situation, als Anstoß zum gesellschaftlichen Handeln […]. Das Evangelium […] ist Orientierungshilfe […]. In koedukativen Gruppen können Mädchen und Jungen lernen, ihre gesellschaftlichen Rollen zu erkennen und zu verändern. Der Verband geht davon aus, dass seine Arbeit […] politische Folgen hat. […] (Er) sieht seine Aufgabe darin, durch Förderung von Demokratisierung und Mitbestimmung einen Beitrag zu leisten zur Veränderung der Lebensbedingungen aller mit dem Ziel sozialer Gerechtigkeit. Er will […] Kindern und Jugendlichen soziale und politische Zusammenhänge bewusst […] machen und sie […] anregen und befähigen, ihre Interessen in Solidarität […] zu vertreten. […] (Er) bietet einen Ansatz zu einer aktiven Friedenserziehung.“

Das Fazit

Nachdem ich die zeitliche Reihenfolge der Schritte der Gründung, die Selbstbeschreibung damaliger Akteure, die Publikationen aus der Zeit und die Veränderung Verbandsstrukturen und Ziele in den Blick genommen habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der Wandel der christlichen Pfadfinderverbände keines Falls von den 68ern* initiiert worden ist. Der Prozess, der in den Zusammenschluss mündete und sich auf Koedukation und Partizipation konzentrierte, muss weit vor 1967 begonnen haben. Ab 1968 haben jedoch die Themen Demokratisierung (der Verbandsstrukturen) und soziale Gerechtigkeit (in den neuen Grundsätzen) die inhaltliche und strukturelle Ausrichtung des zukünftigen Verbandes VCP geprägt.

Das legt nahe, dass hier zentrale Themen der 68er-Bewegung aufgenommen wurden. Insbesondere die Aussage der Zeitzeug*innen bestätigt, dass die 68er*-Bewegung den Reformprozess der Pfadfinder*innen maßgeblich geprägt hat. Auch die Verbandszeitschrift „Ding“ zeigt in ihrer Themensetzung unübersehbare Parallelen zu den Themen der 68er*-Bewegung. Erstaunlicherweise lässt sich bei der Inhaltsanalyse der „anp“ dieser Einfluss nicht belegen.

Fraglich ist auch, wie weit die 68er Bewegung nicht selbst Ausdruck eines früher begonnenen gesellschaftlichen Wertewandels ist.

Wenn auch dich die Geschichte der bündischen Jugend und der Pfadfinderei interessiert, kannst du das VCP Archiv in Kassel oder auf der Burg Ludwigstein das Archiv der deutschen Jugendbewegung besichtigen, die Jugendbildungsstätte bietet auch Archivführungen für Sippen an. Vielleicht etwas für dienächste Gruppenstunde oder Fahrt?

* Die westdeutsche Student*innenbewegung der 1960er Jahre war zwar männlich dominiert, allerdings spielten Frauen* durchaus eine eklatante Rolle in der Bewegung. Nicht zuletzt ist die Frauen*bewegung eng mit der 68er*-Bewegung verwoben, mehr dazu findest du unter: https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/68er-bewegung/51859/ohne-frauen-keine-revolution/.

Die männlich gelesene Formulierung 68er ist der gängige Term für die Student*innenbewegung, soll diesen Umstand aber nicht unter den Tisch fallen lassen.

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