Antwort auf Zuschrift „ZIEL ERREICHT! Oder?“

Gendersternchen Beitragsbild

Eric Stahlmann, 10.06.2023

Liebe Marion,
lieber hospi,

ihr habt der anp-Redaktion und der VCP-Bundesleitung einen Brief geschrieben, in dem ihr auf das Bundeslager 2022 und den offenen Brief der Bundesführung Bezug nehmt und weiterhin auch im Allgemeinen eure Sicht auf die Situation von Erwachsenen im Verband darlegt. Wir haben euren Brief erhalten und ich habe ihn inzwischen viele Male gelesen. Gern möchte ich euch im Vorfeld der anstehenden Bundesversammlung antworten. Ich schreibe euch als Bundesvorsitzender. Und ich bin 35 Jahre alt. Im Kontext eures Briefes erscheinen mir diese Angaben relevant.

Zunächst danke ich euch, dass ihr euch zu Wort gemeldet habt! Eurem Schreiben nach verspürt ihr ein Unbehagen im Verband. Der Verband scheint Entwicklungen zu vollziehen, mit denen ihr euch nicht identifiziert oder die euch fremd erscheinen. Als Teil der Bundesleitung sehe ich meine Rolle in der Vermittlung und möchte mit dieser Antwort mein Bestes versuchen.

Ich komme gerade vom Festakt zum 50-jährigen Jubiläum unseres Verbandes auf dem Kirchentag in Nürnberg. Wir haben hier auf die Anfänge des VCP zurückgeblickt. BCP, EMP und CPD haben sich 1973 nicht ohne Druck zum VCP zusammengeschlossen. Die gesellschaftliche Debatte im Nachgang der 68er hat auch die getrenntgeschlechtliche Jugendarbeit infrage gestellt und Koedukation eingefordert. Mit seiner Gründung hat der VCP 1973 auch begonnen zu gendern: „Pfadfinderinnen und Pfadfinder“ – das war neu. Das generische Maskulinum wurde ein Stück weit abgelöst, gut die Hälfte der Bevölkerung fand nunmehr Berücksichtigung im sprachlichen Ausdruck und erfuhr damit ein neues Maß an Sichtbarkeit.

Der VCP war damit progressiv. Die Veränderungen in der Gesellschaft wurden von jungen Menschen eingefordert: Die 68er-Bewegung war eine Bewegung der Studierenden. Es sind heute abermals junge Menschen, die Veränderung einfordern. Der Antrag zur Änderung des Verbandsnames wurde nicht von der Verbandsführung eingebracht, sondern von den Delegierten des VCP-Land Mitteldeutschland. Ein Antrag der sogenannten Basis. Die 53. Bundesversammlung hat die Abstimmung über diesen Antrag nach langer Debatte um ein Jahr vertagt. Die Delegierten wollten einen so bedeutsamen Schritt in ihren Ländern diskutieren und damit sicherstellen, dass sie trotz freien Mandates nicht unabgestimmt votieren.

Aller Voraussicht nach wird nun Ende Juni auf der 54. Bundesversammlung darüber entschieden werden, ob „VCP“ künftig für „Verband Christlicher Pfadfinder*innen“ stehen wird. An unserer Arbeit würde ein solcher Schritt nichts ändern. An unserer öffentlichen Wahrnehmung jedoch sehr wohl. Das „Pfadfinder*innen“ geht einen Schritt weiter als das „Pfadfinderinnen und Pfadfinder“. Es ist der Versuch, Menschen im sprachlichen Ausdruck Sichtbarkeit zu verleihen, die sich nicht als Pfadfinderin oder Pfadfinder begreifen.

Ich persönlich nehme zurzeit eine ausgeprägte öffentliche Debatte darüber war, gesellschaftliche Vielfalt anzuerkennen und sichtbar zu machen. Ich ordne das Gendern mittels eines Sternchens und die Initiative des VCP-Land Mitteldeutschland in diesen Diskurs ein. Hier spiegelt sich im VCP eine Auseinandersetzung im Kleinen des Verbandes, die auch im Großen unserer Gesellschaft ausgetragen wird. Der VCP ist politisch.

Die Bundesversammlung wird über den Namen unseres Verbandes entscheiden. Sie ist das höchste beschlussfassende Organ dieses Jugendverbandes und sie hat alles Recht dazu! Was ich mir dabei wünsche, ist ein respektvoller Umgang miteinander. Ich habe die Hoffnung, dass wir es im Kleinen besser hinbekommen, als es uns die Gesellschaft gerade vormacht. Das wird mitnichten einfach werden, denn der Verbandsname wird keinen Kompromiss zulassen. Es wird für A oder B entschieden werden. Wir sollten deshalb unsere Argumente behutsam abwägen und dem Gegenüber nicht das Recht auf eine andere Perspektive absprechen.

Mein Engagement wird sich nach der Bundesversammlung nicht verändern, egal wie das Ergebnis ausfällt. Ich werde weiterhin Mitglied im VCP sein. Der VCP wird weiterhin eine exzellente Jugendarbeit machen und diese Arbeit wird weiterhin viele junge Menschen auf ihrem Lebensweg prägen. Was wir tun, ist wichtig für die Gesellschaft. Wenn wir versöhnt aus dieser Bundesversammlung in die Zukunft gehen und die demokratischen Beschlüsse dieses Gremiums respektieren, können wir Vorbild sein. Als Teil der Bundesleitung ist mir dieser Umgang miteinander das Wichtigste im Verband und ich fordere ihn von allen Seiten ein.

Ihr positioniert euch in eurem Brief sehr explizit als Erwachsene jenseits des 30. Lebensjahres in Abgrenzung zu jüngeren Menschen. Ich bedauere diese Trennlinie sehr und erkenne sie dennoch als Realität an. Und sie ist natürlich nicht zufällig. Wir alle haben unseren Verband auf eine bestimmte Weise kennengelernt. Und auf eben diese Weise haben wir ihn auch schätzen gelernt. Veränderung von Dingen, die einem persönlich am Herzen liegen, sind schwer. Und wenn die Veränderung von anderen ausgeht, ist das Verständnis dafür nicht naturgegeben. Ich glaube, dass das normal ist.

Ich möchte euch aber einladen, Veränderungen im VCP nicht als ein Handeln der jüngeren gegen die älteren Generationen zu verstehen. Der VCP ist ein Jugendverband und das spiegelt sich auch in der Zusammensetzung seiner Entscheidungsgremien wider. Gut so! Mitglieder jenseits der Dreißig sind dennoch von hoher Bedeutung für unseren Verband. Es sind in der Tat gut dreißig Prozent. Und sogar rund fünfzig Prozent unserer Mitglieder sind vor dem Gesetz „erwachsen“. Der VCP soll all diesen Mitgliedern ein Leben lang Heimat bieten. Das hieß früher mal „Lebenspfadfindertum“. Für mich heißt es, der Bedeutung dieses Verbandes Rechnung zu tragen und seine Arbeit zu unterstützen. Egal in welchem Alter. Und egal, ob mit Taten oder mit Geld. Wer nicht mehr jung ist, hat Räume im Verband und kann sich einbringen. Das lässt der VCP in vielerlei Hinsicht zu.

Was ein Jugendverband aber von älteren Mitgliedern abverlangt, ist Rollenbewusstsein. Dazu gehört es, Veränderungsprozesse zu ertragen, die das eigene Bild vom Verband abwandeln. Das ist eine Gradwanderung, denn selbstverständlich hat jedes Mitglied die gleiche Stimme im Verband. Tatsächlich aber nehmen viele diese Stimme ab einem bestimmten Alter nicht mehr wahr. Ich finde diesen Verzicht nobel und respektiere ihn außerordentlich. Es ist Ausdruck eines Sich-Zurücknehmens und versetzt die jeweils jüngere Generation in die Lage, gestaltend zur wirken. Mit diesem weithin praktizierten Rückzug und dem damit einhergehenden Verantwortungsübergang an nachfolgende Generationen wird der Raum für Learning by Doing eröffnet, der für unsere Pädagogik von so hoher Bedeutung ist und viele Persönlichkeitsentwicklungen überhaupt erst möglich macht.

Und an dieser Stelle möchte ich euch beipflichten: Mit der Gestaltungsmacht geht Verantwortung einher. Das bedeutet mindestens, das Handeln zu erklären. Wer Entscheidungen für den Verband trifft, muss gut zuhören und zwischen den Menschen vermitteln. Mit Blick auf die Generationen verlangt das auch Respekt gegenüber jenen, die keine Mehrheiten mehr in den Versammlungen und Projektgruppen haben, die aber dennoch Teil des Verbandes sind. Dieser Verantwortung muss sich eine jede junge Generation immer wieder aufs Neue bewusst sein.

Ich hoffe sehr, dass ihr mit Milde auf die Veränderungen blicken könnt. Ich hoffe auch, dass ihr es ertragt, wenn das Ziel von Veränderungen noch nicht feststeht und die Ausrichtung noch sondiert wird. Ganz gewiss wurde die beste Lösung für die Sanitärbereiche auf dem Bundeslager noch nicht gefunden. Aber hier wurde ein Versuch unternommen, vorgetragene Bedürfnisse zur berücksichtigen. Wie sich eine Gesellschaft bei dem Versuch, Vielfalt ernst zu nehmen, in ganz praktischen Lebensfragen organisieren wird, wird sich vermutlich erst noch zeigen. Und abschließend hoffe ich auch, dass ihr im VCP keine Diskriminierung erfahren müsst, sondern allen Menschen mit Respekt begegnet wird.

Danke, für euren Anstoß.

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