Trans* zu sein ist nichts für Feiglinge.

Foto: Benedikt Bahl

von Simon Simmel

Trans* zu sein ist nichts für Feiglinge. Manchmal frag ich mich, ob ich auch versteckt hätte leben können. Es wär so viel einfacher gewesen, bequemer, geradezu normal. Aber die Antwort in mir ist trotzdem sehr klar: Nein. Ich möchte echt sein, ich sein, mich zeigen, ohne Maske wahr_genommen werden, wahr sein. Und ich bin nun mal keine Frau. Auch wenn ich zum ersten Mal bei der Geburt und dann immer wieder weiblich einschubladiert wurde und werde. Es gab eine Zeit, da hab ich mich wirklich bemüht, eine weibliche Identität für mich anzunehmen, weil ich dachte, das sei meine Aufgabe… Meine Güte, was bin ich froh, dass da jemand kam, der mir verraten hat, dass mein Körper mein Geschlecht nicht determiniert! Dass ich keine Frau bin, die lieber ein Mann wäre, sondern dass ich einfach keine Frau bin. Vielleicht ein Mann, vielleicht auch einfach nur ein Mensch. Diese Erkenntnis hat mich eine Ebene tiefer in mich selbst fallen lassen. Sie hat mich befreit und mit unbändiger Freude erfüllt! Voller Euphorie wollt ich es in die Welt hinausrufen, dass ich endlich den Schlüssel zu meinem Sein gefunden hab.

Leider wurde die Euphorie von der Welt irgendwie nur so mittelmäßig geteilt… Statt ein „Oh, wie schön“ kam allermeistens ein „Hä?“. Die Kategorie Geschlecht ist ein so starkes und wirksames Konzept, dass ich als Mensch mit Männernamen und „er“ als Pronomen, aber mit hoher Stimme, und irgendwie so unbärtig, nicht einzuordnen, nicht verstehbar bin. So kommt es, dass die Leute beim Kennenlernen von mir irritiert sind. Mit Unverständnis reagieren. Mit einem skeptischen Blick, der vom Gesicht zur Brust geht und wieder zurück… Es ist mir ein Rätsel, wie Leute eigentlich auf die Idee kommen, sie wüssten besser als ich, welches Geschlecht ich habe! Schnell entsteht so das Gefühl, dass meine geschlechtliche Identität nicht tolerierbar, nicht aushaltbar, ja unzumutbar ist. Da braucht es meinerseits Mut, guten Willen und eine ordentliche Portion Geduld, um überhaupt offen auf neue Menschen zugehen zu können. Da bilden die Pfadis leider keine Ausnahme…

 

Auch da passiert es, dass sich ungefragt im Kreistanz ein mir Unbekannter zwischen mich und eine Freundin drängt, weil da ja „noch ein Mann gefehlt habe“, oder dass ich zur Verabschiedung von Männern umarmt werde, die normalerweise nur Frauen umarmen (warum tun sie das eigentlich?!). Oder dass in der Singerunde die Stimmen nach Männern und Frauen sortiert werden statt nach hoch und tief.  – In den meisten Fällen ist das keine böse Absicht! Sondern Gewohnheit und in den meisten Fällen wahrscheinlich unproblematisch. Aber mir macht es bewusst, dass ich in diesem binären Denkmuster gar nicht vorkomme, nicht mitgedacht werde. Und das wiederum ist wahrlich nicht immer leicht.

Es hat mich neulich jemand nach fünf Jahren gemeinsamer Gremienarbeitstreffen gefragt, warum eigentlich jedes Mal mein Namensschild falsch sei, warum da Simon und nicht Simone steht. Das Schild war nie falsch, nur die Vorstellung in seinem Kopf. Aber klar, man lernt bei den Pfadis sehr schnell und unkompliziert viele neue Leute kennen und dann gibt es ja die verrücktesten und tollsten Fahrtennamen. Wer rechnet da schon mit einem waschechten Trans*menschen? Tja.

Ich fürchte, hier stellt sich die Frage nach Unkompliziertheit vs. Korrektheit. Denn auf den ersten Blick sieht es wahnsinnig kompliziert aus, jetzt auch noch Zwischenmenschen mitzudenken, Menschen – nach der Erkenntnis, dass man Leuten ihr Geschlecht nicht ansehen kann – nach ihrem Pronomen zu fragen, mit Sternchen zu gendern, eigene Stereotype zu hinterfragen.

Doch ich möchte vorsichtig einwerfen, dass kompliziert ja nur ist, was man noch nicht geübt hat. Learning by doing!

Ein guter Freund hat mal formuliert, dass es für ihn mit mir einfacher ist als mit anderen Menschen, in echten Kontakt zu treten, weil bei den meisten andern erst noch die Frau- oder Mann-Schablone vor dem eigentlichen Menschen kommt, die irgendwie den Weg versperrt. Man stelle sich also vor, man könnte alle Menschen ohne Geschlechtervorstellungen und -vorurteile kennenlernen! Das wäre auf eine neue Art sehr unkompliziert, einfach und schön.

 

Und die gute Nachricht ist: Solche Unkompliziertheit ist mir bei den Pfadis auch wirklich schon häufig begegnet!

Da ist das Geschlecht dann einfach irrelevant. Alte Rollenbilder werden über Bord geworfen und es ist selbstverständlich, dass alle kochen, Feuer machen und Gitarre spielen. Hier werden eben wunderbar ent-genderte Fahrtennamen vergeben und zur Verabschiedung alle umarmt, die man mag. Es gibt Tanzwerkstätten, bei denen wird nicht in Mann und Frau aufgeteilt, sondern in gelb und grün. Da werden ganze Zeitschriften mit Sternchen gegendert und Artikel wie dieser publiziert. Da dürfen queere Menschen einfach sein, gleichgeschlechtliche Pärchen sind das Normalste der Welt und meine Identität wird, ohne mit der Wimper zu zucken, akzeptiert und verstanden.

Mein Gruppenkind hat (damals 16 Jahre alt) auf mein Outing als trans* eben nicht mit „Hä?“ reagiert, sondern mit: „Wie schön, dass du so offen damit umgehst!“ und eine Lagerbekanntschaft (damals 18) hat mich nach dem dritten verquatschten Abend gefragt, welches Geschlecht ich eigentlich hätte und auf meine erstaunte Nachfrage zur bisherigen Vermutung lapidar gemeint: „Bisher hab ich mir das offen gelassen.“ … Ich hab große Hoffnung in die junge Generation!

Und wenn es der so leicht fällt, müssen wir älteren Hasen vielleicht auch nur ein paar Gedanken renovieren und unseren offenen Blick üben.

Und dann muss ich mir auch nicht mehr immerzu absurderweise so furchtbar viele Gedanken um trans* und Geschlecht machen – dann ist es endlich einfach egal 🙂

 

Erstveröffentlichung: Zeitschrift Stichwort im Heft 207/2020

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