Wolfgang Zarth aus Hamburg pilgerte 77 Tage, vom 13.9. bis zum 28.11.2015 von Flensburg nach Paris zum UN-Klimagipfel.
anp: Wolfgang, was hat dich bewogen, vom 13. September bis zum 28. November nach Paris zur Klimakonferenz zu pilgern?
Wolfgang: Da gibt es verschiedene Gründe: Ich wollte mich der Herausforderung stellen, eine solch lange Strecke von 1370 km in einem Zug komplett zu laufen. Die Gelegenheit bietet sich nicht täglich. Außerdem droht sich das Leben auf der Erde durch den rasanten Klimawandel zu verschlechtern, hervorgerufen vor allem durch unsere Lebensweise in den Industriestaaten. Da wollte ich mir von meinen Enkelkinder, auch die darunter leiden müssten, nicht sagen lassen müssen: “Opa, warum hattest du damals nichts dagegen gemacht?“
anp: Wie hast du dich darauf vorbereitet?
Wolfgang: Na, ich hab allen Leuten Bescheid gesagt, dass ich mal ein Vierteljahr weg bin. Körperlich oder inhaltlich, thematisch, da hab ich mich nicht besonders vorbereitet. Den großen Rucksack hab ich mir von meinem Bruder geliehen, bin an den Kleiderschrank gegangen und hab die notwendigen Kleidungsstücke eingepackt. Das war’s dann auch.
anp: Was waren die Menschen, mit denen du unterwegs warst? Hattest du besondere Begegnungen?
Wolfgang: Das waren ganz unterschiedliche Leute. Von vierzehnjährigen Schülerinnen bis über sechzigjährige Pensionäre, Klimaaktivisten, Studentinnen und Studenten, Erzieherinnen und Physiker, Kirchenvorsteher und Pfadfinder wie ich, Menschen, die in Entwicklungsländern gearbeitet haben. Wir waren eine buntgemischte Gruppe. An halben Tagen sind auch Prominente mitgelaufen wie die Bundesumweltministerin Frau Dr. Barbara Hendricks, mehrere Landesminister und viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie kirchliche Würdenträger. Ich habe eine 18-jährige Abiturientin kennengelernt, die nicht wusste, was sie nach dem Schulabschluss vorhatte. Nach einer geplanten Woche Pilgern entschied sie sich, ganz bis Paris mitzugehen. Ich traf auch DPSGer mit einem Abzeichen vom BZG auf ihrem Klufthemd. Da gab es natürlich gleich Anknüpfungspunkte. Eine Frau, die am Klimapilgern teilnahm, hatte Parkinson. Sie lief mit, so gut sie konnte, nutzte auch zwischendrin immer wieder öffentliche Verkehrsmittel. Bei den Übernachtungen aber war sie stets dabei. Begleitet hat sie ihre Berner Sennhündin Alma.
anp: Bist du auch VCPerinnen und VCPern begegnet?
Wolfgang: Von Annakatrin, Andreas, Moritz und Mark, VCPerin und VCPer aus Schleswig-Holstein wurde ich gleich am Anfang in Flensburg begrüßt. Sie haben die Pilgergruppe bis Hamburg verpflegt und für uns abends eine Jurte aufgebaut. Das war Spitze. Bis Rendsburg pilgerte auch Matthias Möbius aus der Neumünsteraner Pfadfinderdynastie mit. Auf einigen Tagesabschnitten traf ich ehemalige VCPer.
anp: Wo habt ihr denn übernachtet?
Wolfgang: In Pfarrheimen und Gemeindehäusern auf dem Fußboden, manchmal auch in Turnhallen – mit Feldbetten und Duschen, das war sehr angenehm. Selten konnten wir in Privatunterkünften in einem richtigen Bett schlafen.
anp: Wie groß waren die Gruppen, in denen du gelaufen bist?
Wolfgang: Ganz unterschiedlich. Man konnte sich für die ganze Zeit anmelden, aber auch für kürzere Zeitabschnitte. Mal liefen halbe Tage ganze Klassen mit – da waren wir dann große Gruppe von 250 Leuten. Manchmal waren wir aber auch nur 25 Personen.
anp: Wie wurdet ihr verpflegt?
Wolfgang: Dort, wo wir abends unterkamen, gab es auch immer einen gedeckten Tisch. Und morgens gab es auch wieder Frühstück. Und je weiter wir Richtung Südwesten kam, desto üppiger wurden die Mahlzeiten. Das ging bis zu einem zehngängigen Menü auf einem Bauernhof in der Champagne in Frankreich. Manchmal war mir das schon fast unangenehm. Man kommt da an und wird so großzügig versorgt. Da kann man sich nur mit einer Spende revanchieren. Oder in Frankreich – da gab es regelmäßig in der Bürgermeisterei einen Empfang und anschließend Kaffee und Kuchen. In Metz hatte meinen Pilgerbruder Erwin und mich der Bischof gemeinsam mit zwei seiner Freunde in sein Palais zum festlichen Abendessen eingeladen.
anp: Was waren denn deine eindrücklichsten Erlebnisse?
Wolfgang: Das ist nicht einfach zu sagen, da der ganze Pilgerweg ein einziges Highlight war. Ich erzähle mal zwei Beispiele.
Am 29. Oktober besichtigten wir das riesige Braunkohletagebaugebiet Garzweiler westlich von Köln. Zum Abbau der Kohle werden hier ganze Dörfer abgebrochen. In den Kraftwerken verbrannte Braunkohle, einer der schädlichen Klimakiller. An diesem Tag hielt unsere Gruppe ihre Abendandacht in der Dämmerung im schon geräumten Dorf Immenrath. Alle Gebäude waren zugenagelt. Auch das Betreten der Kirche war verboten. Es war eine gespenstige und sehr bedrückende Stimmung. Am Nachmittag hatten wir von Betroffenen gehört, wie sie unter der Umsiedlung gelitten haben. Ich kann mir jetzt gut vorstellen, für die Beendigung des Braunkohleabbaues im Rheinland und in der Lausitz zu demonstrieren.
In Paris angekommen übergaben wir mit vierhundert anderen Pilgern unter Beisein von Religionsführen aus aller Welt unsere Forderungen zum Klimawandel, unterzeichnet von 1,8 Millionen Menschen der Chefsekretärin des UN Klimaabkommens Frau Christina Figueres und dem Verhandlungsführer der Franzosen. Dies war für uns alle ein sehr bewegender Moment, bei dem Frau Figueres ihre Tränen nicht zurückhalten konnte. Jetzt freuen wir uns, dass es zu einem Folgeabkommen von Kyoto gekommen ist.
anp: Was habt ihr unterwegs noch gemacht – welches Programm gab es noch neben dem Pilgern?
Wolfgang… Für Geist, Körper und Seele war bestens gesorgt. Der Morgen begann mit einer gemeinsamen Andacht in der kleinen Dorfkirche oder der großen Kathedrale, unterwegs schauten wir uns klimarelevante Bauwerke an und bewerteten sie als Kraftpunkt oder Schmerzpunkt. Ein Windpark oder eine Solarstromanlage betrachteten wir als Kraftpunkt. Einen Stall 40.000 Hühnern, an dem wir vorbeigingen, ordneten wir als Schmerzpunkt ein. Zum Beispiel am Flughafen Münster-Osnabrück diskutieren wir mit Vertretern der Luftfahrt und mit Parlamentariern über die Auswirkungen und mögliche Begrenzungen des klimaschädlichen Flugverkehrs. Am Nachmittag am Zielort angekommen trugen wir Gott in der Andacht unsere Klagen und Hoffnungen zum Klimawandel vor. Nach dem Abendessen luden uns gastgebenden Gemeinden ein zu Fachvorträgen rund um die Klimaveränderung und was wir unbedingt dagegen tun müssen. Referenten kamen von Brot für die Welt und dem Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie, Professoren aus dem Agrarbereich und der Klimaforschung, Fachleute aus Südafrika und von den Philippinen und sowie aus NGOs wie Südwind und German watch. In Bad Bramstedt verstärkten wir spontan den Kirchenchor in seiner wöchentlichen Übungsstunde und probten einen vierstimmigen Satz von Schütz. So kamen wir nie vor halb elf zur Ruhe. An den wöchentlichen Pausentagen hatten wir auch immer ein volles Programm. Wir diskutierten beispielsweise in Dortmund mit dem Staatssekretär im Entwicklungsministerium Herrn Dr. Friedrich Kitschelt über die Rolle des Staates bei der Begrenzung der Erderwärmung und schauten in Rendsburg den Film Thuletuvalu an. In Thule schmelzen derzeit die Grönlandgletscher und in Tuvalu in der Südsee steigt der Meeresspiegel an.
Mehr unter http://www.klimapilgern.de
anp: Wie haben sich die Anschläge von Paris auf eure Pilgertour ausgewirkt?
Wolfgang: Am 13. November, es war die erste Nacht in Frankreich, waren wir in einem Waldheim untergebracht, da erzählte ein Journalist, der uns begleitete, dass wohl etwas Schlimmes in Paris passiert ist. Im Laufe der Nacht erfuhren wir dann von der Größe und den Folgen der Anschläge. Am nächsten Tag kauften wir einen Trauerflor und nähten uns Stücke davon an unsere Kleidung, um unser Mitgefühl sichtbar zu machen. Wir standen dann auch – wenn auch verdeckt – unter Polizeischutz und wurden ab und zu von der französischen Gendarmerie begleitet. Wir sollten nicht als Gruppe erkennbar werden. Andererseits ließ sich das kaum vermeiden, wenn man zum Beispiel in einer Stadt an einer Ampel stand. Aber alle Veranstaltungen unter freiem Himmel in Paris wurden verboten. Eine Großdemonstration vor dem Èlysèe-Palast wurde ebenfalls aus Sicherheitsgründen nicht gestattet. Das war sehr schade. Trotzdem konnten wir ja die 1,8 Millionen Unterschriften mit den Forderungen zur Klimagerechtigkeit übergeben.
anp: Hat dich die Pilgertour verändert?
Wolfgang: Ja, schon. Privat auch. Es muss was zum Stoppen des Klimaswandels getan werde. Ich fange bei mir an. Ich werde jetzt unseren Dachboden noch stärker isolieren. Ich habe festgestellt, dass ich mit der Förderung von Projekten der ökologischen Landwirtschaft bei den Kleinbauern in den Bergen von Nepal etwas für die Anpassung an den Klimawandel tue. In ihren Vorträgen stellten dies die Fachleute als notwendig dar. Und ich bin gelassener geworden. Weißt du, wenn du dich 77 Tage mit einer Geschwindigkeit von vier bis fünf Kilometer pro Stunde am Tag durch die Lande bewegst, dann regst du dich nicht mehr drüber auf, wenn dir jemand nicht nach zwei Minuten auf dein Mail antwortet. Und ich werde bei manchen Klimathemen mehr dranbleiben. Das hab ich als Motto mitgenommen: Dran bleiben. Ich werde beim Kirchenvorstand nachhaken, wie da die Nachhaltigkeitspläne aussehen. Frau Hendricks, der Bundesumweltministerin werde ich auch einen Brief schreiben und sie fragen, welche Taten unserer Regierung den hoffnungsvollen Worten von Paris folgen lassen will.
anp: Danke, Wolfgang, für das Gespräch.
Wolfgang Zarth
Jahrgang 1946
Mitglied der VCP Fachgruppe Bundeszeltplatz Großzerlang und organisatorischer Leiter von Bundeslagern in den 80er und 90er Jahren