Fakenews: Wer’s glaubt, wird selig!

Der weltberühmteste Tintenfleck feiert Jubiläum

von Andreas Witt

Wer heutzutage voller die Wartburg besichtigt und Wissensdurst den wohl weltberühmtesten Tintenfleck in der Lutherstube sucht, wird bitter enttäuscht: Der Tintenfleck – oh Schreck – ist weg! Denn die Legende des Tintenflecks ist auf Sand gebaut.

Sie geht auf ein Zitat zurück, in dem Luther sagt, er habe den „Teufel mit Tinte vertrieben“! Doch Luther meinte dies vermutlich nicht wortwörtlich in dem Sinne, dass er tatsächlich voller Wucht sein Tintenfass an die Wand geworfen habe, als der Teufel ihn nachts in seinem Zimmer, der heutigen Lutherstube, auf der Wartburg heimsuchen wollte! Doch weil diese Geschichte so einprägsam ist, tappten ahnungslose Wartburgbesucher*innen jahrzehntelang im Dunkeln und kratzten mit Feuereifer die Tinte eines offensichtlich falschen und immer wieder erneuerten Tintenflecks von der Wand. Da dies auf keine Kuhhaut geht, wird der Tintenklecks heutzutage nicht mehr rekonstruiert. Nachgewiesen durch Schrift- und Bildzeugnisse ist der erstunken und erlogene Fake-Fleck an der Wand hinter dem grünen Ofen seit 1650.

Aber Luthers vorgetäuschte Entführung und seine Schutzhaft als bärtiger Junker Jörg auf der Wartburg jährt sich in diesem Jahr zum 500. Mal. Allerdings ging es Luther auf der Wartburg zunächst physisch und psychisch sehr schlecht: Eben noch – vom Volk gefeiert – in Worms auf dem Reichstag der mutige Mönch, der es als Dorn im Auge von Kirche und Kaiser gewagt hatte, seine Thesen nicht zu widerrufen, trotz drohenden Scheiterhaufens. Doch jetzt scheinbar zur Untätigkeit verdammt. Folge: Ein psychisches Tohuwabohu! Dazu rebellierte Luthers Mönch-Magen, an karge Klosterkost gewöhnt, gegen die reichhaltige Ritterküche.

Kein Wunder, dass Luther erst im Dezember 1521 – also nach ungefähr einem dreiviertel Jahr auf der Wartburg – mit der Übersetzung des Neuen Testaments begann – und diese nach nur elf Wochen beendete. Wahnsinn! Wahrlich weltrekordverdächtig!

Luthers Übersetzung des Neuen Testaments erschien im September 1522 als gedrucktes Buch („September-Testament“) in 3000 Exemplaren – und musste sofort nachgedruckt werden. Ein Bestseller! Mit der Übersetzung des Alten Testaments tat Luther sich dann aber wesentlich schwerer. Hierfür brauchte er – mittlerweile wieder in Wittenberg – zusammen mit seinem Übersetzerteam erheblich länger. Im Jahre 1534 erschien die erste komplette Lutherbibel. Auch dieses Buch wurde zum Bestseller! Denn Luther war es gelungen „dem Volk aufs Maul zu schauen“ und durch seine herausragende Sprachkompetenz den biblischen Text verständlich ins Deutsche zu übertragen. Zahlreiche, kraftvolle und geistreiche Wortschöpfungen – wie Denkzettel, Lästermaul, Machtwort – und bildhafte Sprichwörter – wie Mir geht ein Licht auf! (Im Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung des Kursivdrucks in diesem Artikel!) – haben seitdem Einzug in unsere Umgangssprache gehalten. Welches Werk kann hier der Lutherbibel das Wasser reichen? Die Medienrevolution des Buchdrucks – in ihrer Bedeutung vergleichbar mit der Digitalisierung, die wir gerade erleben – hat dies möglich gemacht!

Fazit: Buchdruck befeuert Bibelbestseller. Bibelbestseller lanciert Luther-Legende. Luther-Legende fabriziert Fleck-Fälschung!

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