Müll wird zu Gold – aber nicht für alle…

Hunderttausende von Menschen leben in den großen Städten Brasiliens vom Sammeln und Trennen von Wertstoffen. Durch die Gründung von Kooperativen ist es gelungen, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Wertstoffsammlerinnen und –sammler zu verbessern.

von Ingvild Mathe-Anglas

Muellsammler-Bewegung in Brasilien
Antonio da Rosa arbeitet als Müllsammler in der Millionenstadt Porto Alegre Foto: Thomas Lohnes / Brot für die Welt

Ganz schön hoch, so ein Müllcontainer! Doch Antônio da Rosa holt kurz Schwung, stützt sich ab – und springt hinein. Dann sortiert er mit routinierter Schnelligkeit alle Wertstoffe und wirft sie säuberlich getrennt in seinen Handwagen. Antonios Arbeitsplatz ist das Zentrum von Porto Alegre, Hauptstadt des südbrasilianischen Bundesstaates Rio Grande do Sul. Knapp eineinhalb Millionen Menschen produzieren hier jede Menge Müll. Nur gut für „Toninho“, wie er sich nennt, denn er ist Wertstoffsammler. Er macht diese Arbeit, seit er denken kann: „Ich habe schon als Kind damit angefangen“, sagt der drahtige 34-Jährige. Seit einiger Zeit plagt ihn eine Sorge: „Wegen der Fußball-WM und der Olympiade werfen sie alle Sammler aus den Innenstädten. Doch wenn sie unsere Karren verbannen, was wird dann aus uns?“ Die Präfektur will sie zu Restaurant- und Hotelfachleuten umschulen. „Aber ich kann doch nicht einmal lesen und schreiben!“, empört sich Toninho. Er tut etwas für die Umwelt, aber das saubere Bild der brasilianischen Städte soll während der Großereignisse offenbar nicht durch Armut verunziert werden.

Arm sind sie ohne Zweifel, die Frauen und Männer, die aus Brasiliens Abfällen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Auch Toninho kann gerade so überleben: „Da ich keinen eigenen Karren besitze, muss ich jeden Tag Miete dafür zahlen“, klagt er. Die rollenden Metallkästen gehören dem Zwischenhändler, wie auch die Zimmer, in denen er und seine Kollegen schlafen. „Ich sammle Material im Wert von 900 Reais im Monat. Nach Abzug der Miete bleiben mir etwa 250 bis 350 Reais“, rechnet er vor. Umgerechnet sind das 85 bis 115 Euro – zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel in einer Stadt, in der die Preise fast so hoch sind wie in Deutschland. In einer Kooperative könnte er deutlich mehr verdienen. Doch Toninho arbeitet alleine.

Gemeinsam stark

Muellsammler-Bewegung in Brasilien
Koordinatorin Erilda da Silva registriert im Zwischenlager der Kooperative Coomcat Art und Gewicht der gesammelten Wertstoffe – Foto: Thomas Lohnes / Brot für die Welt

Auch die 64-jährige Loreci Vieira zögerte lange, bevor sie sich einer Kooperative anschloss: „Ich sammelte schon zehn Jahre lang ohne Wagen Alteisen und verdiente sehr wenig. Manchmal war ich verzweifelt“, erzählt sie. Dann sprach sie Alex Cardoso von der Nationalen Wertstoffsammler-Bewegung MNCR an. „Alex bearbeitete mich so lange, bis ich ihm zusagte, einer Kooperative beizutreten, wenn er mir einen Sozialversicherungsausweis besorgen würde.“ Vor drei Jahren war es dann so weit. Seitdem ist Loreci eine von 43 Mitgliedern der Kooperative Cootracar, die in Gravataí, einer mittelgroßen Stadt rund 25 km von Porto Alegre entfernt, Wertstoffe sammeln und trennen. „Früher habe ich 200 Reais im Monat verdient, heute sind es über 1.000. Gerade habe ich begonnen, ein Haus zu bauen“, sagt sie stolz. „Der Müll ist für mich Gold, er bedeutet Gesundheit und Leben.“ Letzteres ist durchaus wörtlich zu verstehen. Denn dank ihrer Mitgliedschaft in der Kooperative ist sie krankenversichert und wird einmal eine kleine Rente haben.

Dass es Loreci heute besser geht, ist zweifellos das Verdienst der Nationalen Wertstoffsammler-Bewegung MNCR. Sie wird von der Lutherischen Stiftung für Diakonie (FLD) unterstützt. Das Geld kommt aus deren Kleinprojektefonds, der wiederum aus Spendenmitteln des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt gespeist wird.

www.brot-fuer-die-welt.de/projekte/projektliste/brasilien-fld.html
www.brot-fuer-die-welt.de/kirche-gemeinde/wm-2014-in-brasilien/gastgeber-brasilien.html

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