Raus Kinder, ab in den Wald!

Von Diane Tempel-Bornett und Marc Heinemann, Kassel

Nein, hier geht es nicht um Hänsel und Gretel, sondern um Kinder, die freiwillig in den Wald gehen – nämlich in den Waldkindergarten.

BT_Waldkindergarten-FNDie Idee des Waldkindergartens ist schon alt und stammt aus Schweden. In Deutschland wurde der erste Waldkindergarten 1969 gegründet. Heute gibt es rund 300 Waldkindergärten in Deutschland. Der größte Unterschied zu einem üblichen Kindergarten ist die Umgebung. Kinder halten sich den ganzen Vormittag im Wald auf, essen, spielen und singen dort. Durch die Bewegung in der Natur sollen sie ihre motorischen Fähigkeiten verbessern, aber auch Bewusstsein für die umgebende Tier- und Pflanzenwelt entwickeln. Wie entwickeln sich Kinder, die die meiste Zeit im Wald verbringen? Einer schwedischen Studie von 1997 zufolge sind sie deutlich gesünder, konzentrationsfähiger und fantasiereicher als Kinder, die in „normale“ Kindergärten gehen.

Sarah Landenberger arbeitet als Erzieherin in einem Waldkindergarten der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. in Friedrichshafen. Wir haben sie befragt.

anp: Wie sieht der Tagesablauf in eurem Kindergarten aus?

„Bringzeit“ – also wenn die Kinder gebracht werden – ist von 7:30 bis 9:00 Uhr. Um 9:00 Uhr beginnen wir mit unserem Morgenkreis. Da wird gesungen, vorgelesen und Fingerspiele gespielt im Waldsofa. Von 9:00 bis 12:00 Uhr brechen wir meistens auf in die umliegenden Wälder. Mit dabei ist unser Rucksack mit Frühstück und ein Bollerwagen. Im Bollerwagen haben wir Platz für Wechselkleidung, Schaufeln, Eimer, Lupen, Feilen, Sägen, Handbohrer… alles was man eben im Wald so braucht. Um 12:00 Uhr kehren wir zurück an unseren Waldplatz. Dort findet dann ein Abschlusskreis (mit Singen, lesen, Fingerspiele…) in unserem Waldsofa statt. Von 12:00 Uhr bis 13:30 Uhr ist Abholzeit. In der Bring- und Abholzeit kann frei gespielt werden. Dann haben die Kinder Zeit, angefangene Arbeiten, Werksachen, Bilder fertig zu stellen.

anp: Wo werden die Kinder abgeholt? Gibt es einen speziellen Platz?

Unser Waldplatz besteht aus unseren zwei Bauwägen (einer für die Kindergartengruppe und einer für die betreute Spielgruppe), einem Tipi, unserem Waldsofa, einer „Infoleine“ mit Nachrichten für die Eltern, Sandkasten, Feuerstelle, Garten. In unmittelbarer Nähe gibt es Parkmöglichkeiten. Die Eltern bringen und holen ihre Kinder direkt an unserem Waldplatz.

anp: Was essen die Kinder? Sammelt ihr auch Beeren?

Die Kinder essen ihr selbstmitgebrachtes Frühstück. Aus dem Wald darf nichts gegessen werden, um Gefahren z.B. durch den Fuchsbandwurm vorzubeugen, außer es wächst in unserem Garten. Wenn wir Bärlauch oder andere Kräuter oder Beeren finden, können wir das gemeinsam mit den Kindern pflücken und ihnen mit nach Hause geben. Dann entscheiden die Eltern, ob sie es zu Hause verzehren.

anp: Wie ist Hygiene im Wald gewährleistet?

Wir haben stets Seife, ein Handtuch und einen Kanister mit Leitungswasser mit dabei. Vor dem Essen werden die Hände mit Wasser und umweltverträglicher Seife gewaschen.

anp: Was macht ihr, wenn es richtig kalt ist oder Bindfäden regnet?

Dann verkrümeln wir uns auch mal in unser Zelt zum Frühstücken. Dort können wir ein Feuer machen. Dann ist es schön kuschlig warm. Aber meistens regnet es die Bindfäden am Nachmittag, wenn alle zu Hause sind.

anp: Die frühkindliche Pädagogik ist ein großes Thema. Kommt die musische Erziehung oder die vorschulische Bildung im Wald nicht zu kurz?

Auf gar keinen Fall. Wir singen wie in jedem anderen Kindergarten auch am Morgen- und im Abschlusskreis und auch mal ein Liedchen unterwegs. Auch ein Waldkindergarten ist im Besitz einer Gitarre, die häufig zum Einsatz kommt.

anp: Ist der Waldkindergarten überhaupt für sensible oder empfindliche Kindern geeignet?

Selbstverständlich. Bei uns ist viel mehr Platz für alle Kinder. Die Lautstärke beispielsweise verteilt sich viel besser als in einem geschlossenen Raum. Außerdem können die Kinder bei uns sehr viele fein- und grobmotorische Erfahrungen sammeln. Berühren und Anfassen, nach etwas Greifen, es spüren und Erleben findet bei uns täglich statt. Aus Lehm werden Schalen, Igel, Mäuse und vieles mehr geformt. Eine Schüssel mit Erde ist schnell mal der Kuchenteig, der geknetet werden muss. Außerdem lernen die Kinder sehr gut, sich selbst zu spüren. Wann ist es mir warm oder kalt? Wie fühlt sich das an?

anp: Was passiert, wenn ein Kind plötzlich krank wird oder sich verletzt?

Dasselbe wie in jedem anderen Kindergarten auch. Wir haben immer ein Handy und Erste-Hilfe-Materialien bei uns. Sollte ein Kind plötzlich krank werden, rufen wir die Mama oder den Papa an und es wird abgeholt.

anp: Die Gebühren für den Waldkindergarten sind häufig höher als für andere Kindergärten. Warum und gibt es eine „Ermäßigung“ für finanziell schwächere Familien?

Das kann man so generell nicht sagen. Das kommt darauf an, ob der Kindergarten als Elterninitiative geführt wird oder einen anderen Träger hat. Bei uns ist der Beitrag der gleiche wie für alle anderen Einrichtungen der Stadt. Finanziell schwächere Familien können einen entsprechenden Antrag stellen.

anp: Vielen herzlichen Dank für das Interview, Sarah.

Wie unsere Kinder in den Garten kamen – die lange Version

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