Strategien fürdie digitale Zivilgesellschaft – Ein Besuch auf der 6. ReCampaign

Pompöser Titel – und was verbirgt sich dahinter?
Lauter barttragende Hipster und kleine Mädchen mit großen Brillen, die Kampagnen machen – so wurde mir die ReCampaign angekündigt. Das alles war zu erleben in den heiligen Hallen der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Ich gebe zu, ich war gespannt.

Werkstatt im WigWam

Mein Start: ein Workshop am Sonntag im „Wigwam“. Das ist eine Berliner Kreativagentur, die die ReCampaign mit veranstaltet. Diese Werkstatt vor der eigentlichen Veranstaltung soll Leuten, die keine digital natives sind noch ein bisschen Handwerkszeug bieten. Also denjenigen, die gerne wissen wollen: „Wie war das noch mal mit dem Hashtag?“ Und sich vor lauter coolen Cracks nicht trauen, sowas zu fragen.

Der erste Workshop hat den blumigen Namen „Die Macht der Bilder“:
Nichts, was man nicht schon mal gehört hätte, aber – was immer wieder aufgefrischt werden muss: Auf die Bildsprache achten, in Bildern denken, das AIDA-Prinzip nutzen:

Attraktion, Interest, Desire Action

  • Ein Bild soll eine Geschichte erzählen. Bilder soll man nach einer Dramaturgie aufbauen
  • Traut euch, auch mal die Perspektiven ändern, (klassisches Beispiel: wenn man Kinder fotografiert, sie auf Augenhöhe ablichten)
  • Froschperspektive, Vogelperspektive
  • Ein Bild nach dem „Goldenen Schnitt“ aufbauen,
  • Bildausschnitt beachten, überlegen, was man eigentlich mit dem Bildmotiv genau will – passt das?
  • Auf die Botschaft oder die Aktion konzentrieren,
  • Fürs Web querformatige Fotos nehmen. Zeitungen nehmen gern hochformatige Fotos
  • Vorher vielleicht auch mal eine Titelseite skribbeln

Vielleicht traut man sich auch mal eine Provokation: Adbustig: Konsumkritik in dem man Werbung veralbert. Es muss nur klar sein, dass der Name und das Logo verfremdet sind: Zum Beispiel die Audi-Werbung des Klimakillers Q5 als „Raudi“ mit fünf Ringen…

Workshop: Virale Videos

Damit alle was davon haben, fasse ich das Wichtigste zusammen…
Warum?
Erste Frage: Was teilen Leute  – why the hell do people share? Das was lustig, emotional und niedlich ist. Klar… Kätzchen.
Da wir aber keine Katzenfilme produzieren wollen, sollte man vorher überlegen, welche Emotionen wir auslösen wollen:
Betroffenheit? Freude? Spaß – Oder einfach nur gut unterhalten?
Was macht ein Video so gut, dass wir es mit möglichst vielen Leuten teilen wollen?

Ernste Botschaft mit Galgenhumor

Das erste Beispiel: der kanadische Aufklärungsfilm zum Thema Hodenkrebs. Kein lustiges Thema, aber ein lustig gemachter Film, der stark an Monty Python erinnert. Ein pummeliger Protagonist im Jogginghose lümmelt auf der Couch und wird von einer Stimme aus dem Off ermahnt. Nicht weniger Nüsse zu knabbern, sondern zum Arzt zu gehen und sich auf Hodenkrebs untersuchen zu lassen. Krasses Thema.  Das ist ihm ebenfalls reichlich unangenehm und er fühlt sich belästigt und verfolgt. Doch egal wo er hin flüchtet, ein internationaler besetzter Männerchor verfolgt ihn singend bis unter die Dusche und erinnert ihn daran, sich untersuchen zu lassen… Ernstes Thema, lustig aufbereitet. Humor machts möglich. www.cancer.ca

Ernstes Thema – Betroffenheit

Zwei Videos zum Thema Hilfe für syrische Kinder wecken ganz unterschiedliche Emotionen.
Einmal Betroffenheit: ein kleines Mädchen, das vom Krieg aus seiner heilen Welt herausgerissen wird. Die erste Einstellung zeigt das Mädchen, das die Kerzen auf seiner Geburtstagstorte ausbläst und seinen Geburtstag feiert. Dann bricht der Krieg in den Alltag des Kindes ein. Der Film funktioniert mit einer Schere: Das letzte Bild zeigt das Mädchen wieder – nun ist es verwundet, es trägt ein OP-Hemdchen und bläst eine einzelne Kerze auf dem Kuchen aus. Das Video wurde… zigtausende Male im Netz geteilt. Ein lakonischer Satz teilt uns mit: „Nur weil es hier nicht passiert, heißt es nicht, dass es nicht passiert.“

Ernstes Thema – Hilfsbereitschaft macht gute Laune

Ein anderer Film: Ein Jugendlicher spricht Leute in einer Großstadt an, und bittet sie,  mit ihm einen bekannten Hit zu singen. Für jede und jeden, die oder der mit ihm singt, gibt es eine bestimmte Summe für ein Kinderhilfswerk, das syrische Kinder unterstützt. Klar, alle machen mit, das Ganze macht gute Stimmung, weil es vermittelt, dass alle helfen wollen und jeder helfen kann. Bisschen fremdschämen und Gänsehaut ist dabei, weil manche Leute so erbarmungswürdig schief jaulen, aber es ist ja so einem guten Zweck. Und deshalb macht gibt es Hoffnung und macht fröhlich.

Und zum merken und mitnehmen:

Beim Filme drehen drauf achten:

  • Strategisch vorgehen,
  • Ziel und Zweck genau definieren
  • Was ist mein Zielpublikum?
  • Und was ist meine Kernbotschaft?

Beim Storytelling:

Konkret bleiben, Fakten nutzen
Einfache nachvollziehbare Story
Glaubwürdig und emotional ansprechend
Unerwartete Wendung sorgt für einen Überraschungseffekt
Genau überlegen: Was ist mein Kommunikationsziel?
Und zu welchem Zweck? Will ich skandalisieren, mobilisieren, informieren? Oder branden, meine Marke installieren?
Kann ich meine Kernbotschaft – das was ich dem Publikum mitteilen will –  in einem Satz sagen?
Film von Oxfam zur Nahrungsmittelspekulation: Aussage: Mit Essen spielt man nicht.

Beim Zielpublikum überlegen:

Was wissen sie schon? Welche Meinungen und Werte hat es? Wie verhält es sich?
Gute Story: aktivierende Emotionen,
gutes Seeding: (will heißen: platzieren) bei youtube, Facebook, Mailverteiler? HP
Framing: Tite, Beschreibung; Hintergrundbild
Timing: wechselt aber bevorzugt gegen Feierabend, wenn die Leute gern mal gucken und nichts Neues mehr anfangen wollen (?)
Wichtig: die ersten zehn Sekunden sind entscheidend.
Schnittprogramme: müssen verschiedene Ebenen haben, verschiedene Videotracks müssen sich übereinander legen lassen. (Texte, Bauchbinden)Kann Marketing ethisch sein?

Tipps: Filmfourchange.de

Workshop: Kann Marketing überhaupt ethisch sein?

Ja, warum nicht. Marketing ist ein Werkzeug. Warum soll man keine Emotionen nutzen – Hauptsache, man bleibt authentisch sein,

Do’s

  • Emotionen nutzen,
  • authentisch sein
  • Widersprüche vermeiden
    Fakte wissen (recherchieren!)
  • Zielgruppen segmentieren
  • Positiv kommunizieren

Don’ts

  • Irritation ist gut, schocking ist schlecht
  • Abwehrreaktionen vermeiden
  • Hierarchien aufbauen

Natürlich gabs noch viel zu erleben und zu sehen. Und zu hören. Was auch noch für uns im VCP spannend sein könnte, war der Beitrag von Jona Hölderle, der den Webauftritt von NABU neu aufsetzte. „Fünf Punkte, die ich dabei gelernt habe“ teilte er mit dem Publikum. Und die gebe ich auch weiter:

Bevor es überhaupt losgeht: Müssen wir wirklich alles ändern? Design, Technik, CMS, Struktur und Inhalte? Wirklich alles?
5 Lehren für die Neugestaltung eines Webauftrittes
Responsive heißt nicht gleichzeitig mobil. Wie werden sie Seiten genutzt? Auf dem Computer, dem Tablet oder dem Smartphone? Wie viele mobile Zugriffe haben wir? Je nach Nutzung sollte man drauf achten und Dateigrößen, Bildgrößen und Menüführung darauf abstimmen.

Menus sind wichtig! Wenn man kein Menü haben will, gibt’s viele interne Verlinkungen
Tools sind auch wichtig! (Okay, da hätte man selbst draufkommen können)

Wenn wir schon dir Struktur ändern, sollten auch die Inhalte aktualisiert werden.

Wichtig gerade für Verbände: alle einbeziehen – das klappt nicht!

www.reCampaign.de

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