Wir zelten schwarz…vom Nervenkitzel bei pfadfinderischen Aktionen

Von Ricarda Rattay, Lüneburg

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Die Dunkelheit taucht die Umgebung in finstere Farben. Bäume werden zu großen Schatten. Es knackt im Geäst: Flattern, Knirschen, ein Fiepen. Mit der Finsternis kommen der Hunger und die Müdigkeit, Erschöpfung macht sich breit. Ein geeigneter Lagerplatz wird im Wald gesucht. Doch wo soll die Kohte am besten aufgebaut werden? Am Wegesrand oder lieber tiefer im Dickicht? „Wir zelten schwarz“. Das Risiko, erwischt und mit lauten Vorwürfen eines Jägers oder Försters vom Platz verjagt zu werden, ist ein ständiger Begleiter.

Fast jede pfadfinderische Aktivität ist mit Nervenkitzel verbunden.

Pfadfinden bedeutet Herausforderung, an seine eigenen Grenzen kommen. Sich selbst unbequemen Erfahrungen stellen und im Nachhinein stolz darauf zu sein, sie gemeistert zu haben.

Während einige die Kohte aufbauen, macht sich einer in der Dunkelheit auf die Suche nach Feuerholz und muss sich dafür von der Gruppe entfernen. Zwei andere machen sich auf den Weg, um nach Wasser zu suchen oder zu fragen. Von ihnen ist die warme Mahlzeit am Abend abhängig, deshalb hoffen alle auf eine erfolgreiche Wassersuche. Während in der Ferne ein Gewitter aufzieht, kommt die Gruppe wieder zusammen, versucht mit feuchtem Holz ein Feuer zu entfachen. Es ist kalt, die Laune am Tiefpunkt. Der Sturm nähert sich, die Pfadis ziehen sich in die Kohte zurück und hören dem dumpfen Donnern zu, während sie hoffen, dass das Zelt den Regen erfolgreich abhält und kein Blitz einschlägt.

Nicht nur auf Fahrten begleitet Pfadfinderinnen und Pfadfinder die Ungewissheit, was passieren wird. Ein junger Gruppenleiter, der vor seinem ersten Heimabend steht, wird gewiss gespannt sein, ob er die neuen Kinder begeistern und sein Programm einwandfrei umsetzen kann. Nervenkitzel bedeutet aber auch Stress, beispielsweise mit einer großen Gruppe am Freitag zur Hauptverkehrszeit quer durch das Land Zug zu fahren und zu hoffen, dass niemand verloren geht…

Es erfordert Mut, Pfadfinderin und Pfadfinder zu sein.

Sich an die Seile der Jurte zu hängen, damit das Zelt im Sturmgebraus nicht davon fliegt. Trotz Erschöpfung das Geröllfeld hinunter zu klettern, weil dies der kürzeste Weg ist. Im Kletterpark die Höhenangst zu bezwingen, vor dem Stammesrat ein Anliegen hervorzubringen, sich dem Lampenfieber vor dem Auftritt bei einem Singewettstreit zu stellen. Dies sind kleinere und größere Herausforderungen, denen wir uns gerne stellen – denn im Nachhinein können wir stolz darauf sein, diese gemeistert zu haben.

Zurück zu unserer Gruppe:

Nach der stürmischen Nacht wärmen die ersten Sonnenstrahlen die schwarzen Zeltbahnen auf. Die Pfadis erwachen nach und nach. Geschwind werden die Sachen zusammen gesammelt. Ohne einen Hinweis auf ihre Übernachtung zu hinterlassen, verlassen sie den Platz und machen sich auf den Weg. Nach ihrer Fahrt werden sie ihren Freunden und Familien eine Menge zu erzählen haben. Wie sich einer den Knöchel verletzte und die anderen sein Gepäck über ein weites Stück trugen. Von der Nacht, in der sie in den See sprangen und die Sternschnuppen vom Wasser aus zählten. Wie eine Gruppe lauter Jugendlicher an einem anderen Abend auf dem Parkplatz eine große Feier veranstaltete und sie die Kohte abbauen und zu einem ruhigeren Ort weiter wandern mussten. Von der Kuhherde, die neugierig am Zelt herum knabberte und es beinahe umwarf. Oder wie sie von netten Dorfbewohnern zum Essen eingeladen wurden und bei ihnen im Wohnzimmer schlafen durften.

Andere Pfadfinderinnen und Pfadfinder eroberten mit der Brigantine „Falado von Rhodos“ die Meere, paddelten mit Kajaks durch einen Industriehafen an Containerschiffen vorbei, schmuggelten das Friedenslicht über weite Strecken in der Deutschen Bahn oder machten sämtliche Entscheidungen auf einer Fahrt von dem Zufallswurf einer Münze abhängig. Sie waren bei Räumungsaktionen großer Zeltlager dabei, übernahmen erste Aufgaben in der Gruppe oder im Stamm, trauten sich alleine ohne Gruppenleitung in eine andere Stadt zu fahren und dort im Pfadfinderheim zu übernachten.

Nervenkitzel – gehört einfach zum Pfadfinden.

Er macht nicht nur Veranstaltungen zu etwas Besonderen, an die man sich noch lange erinnern wird. Er stärkt uns, unsere Fähigkeiten und den Gruppenzusammenhalt. Schließlich schweißen solche Erfahrungen zusammen. Er lässt uns mutig sein, indem wir uns zum Beispiel trauen, jemanden um Hilfe zu bitten oder unsere Unterstützung anzubieten. Trotz all dieser aufregenden Erlebnisse und Momente, die nicht immer nur toll sind, stellen wir uns weiteren Abenteuern. Nie wissend, was als Nächstes passieren wird.

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