Wie das Woodbadge heimgekommen ist

von Benedikt Reusch

Es ist das Jahr 1987. Es findet eine riesige Pfadikundgebung in Südafrika statt, bei der mehrere tausend Pfadfinder*innen versammelt sind. Chief Scout Garnet de la Hunt, der Vorsitzende der Pfadfinder*innen in Südafrika, steht auf einer Bühne und begrüßt einen Ehrengast und bittet ihn auf die Bühne. Mangosuthu Buthelezi steigt bedächtigen Schrittes die Treppen empor und geht auf Garnet de la Hunt zu. Buthelezi ist zu diesem Zeitpunkt der Ministerpräsident von KwaZulu, einem Autonomiegebiet der einheimischen Zulu in Südafrika. Als Buthelezi vor ihm steht, greift sich Garnet de la Hunt an sein Halstuch und nimmt von dort vier hölzerne Perlen ab – vier Woodbadge-Perlen – und übergibt diese feierlich Buthelezi.

Was soll das? Was hat das zu bedeuten? Warum sind Holzperlen ein angemessenes Geschenk? Freut sich jemand über ein bisschen Bastelkram? Wieviel VCP-Hessen-Klebebänder sind eine Holzperle im symbolischen Anerkennungstransfermarkt wert?

Woodbadge – was ist das?

Das Woodbadge besteht aus zwei oder mehr Holzperlen, einer Lederschnur und einem sogenannten Gilwell-Knoten. Es ist ein weltweites Zeichen der Pfadfinder*innenbewegung und wird von WOSM-Verbänden vergeben. WOSM hat eine eigene Woodbadge-Ordnung, in der geregelt ist wann und wofür das Woodbadge verliehen wird (das sogenannte Framework). Prinzipiell ist das Woodbadge ein Abzeichen, das man bekommt, wenn man einen Woodbadge-Kurs abgeschlossen hat, der eine*n dazu befähigen soll, Gruppen zu leiten und die Ideen der Pfadibewegung weiterzutragen. Im VCP ist das nicht so üblich, da wir in der Regel eigene Schulungs- und Fortbildungskonzepte haben. In internationalen Verbänden dagegen ist ein Woodbadge-Kurs teilweise Voraussetzung, um überhaupt eine Gruppe leiten zu dürfen oder um in höhere Leitungseben vorzudringen.

Ein Woodbadge weist jemanden also als Leiter*in aus und geht mit einem gewissen symbolischen und emotionalen Wert einher – so wie für uns zum Beispiel das dunkelgrüne oder das Ranger*Rover-Halstuch. Das erklärt aber noch nicht, warum es heute einen so hohen symbolischen Wert hat und ein weltweit anerkanntes Symbol ist. Und auch nicht, was das mit der Geschichte am Anfang zu tun hatte.

BiPi und das Woodbadge

Der Ursprung des Woodbadge liegt bei… BP! Wer hätte das gedacht?! Robert Baden-Powell, der Gründer der Pfadfinder*innenbewegung ist auch der Begründer des Woodbadges. BP hatte bekanntlich in seiner Zeit in der Britischen Armee die Idee, dass man Jugendgruppen aufbauen könnte, die nach ähnlichen Prinzipien wie die Spähertruppen in der Armee funktionierten. Deswegen auch der englische Name der Pfadfinder*innenbewegung (Scout = engl. für Späher) und der oftmals militärische Touch, den viele internationale Pfadiverbände haben.

BP war in seiner Zeit im Militär vor allem in den Britischen Kolonien im Süden Afrikas stationiert und kämpfte dort gegen Einheimische und frühe Siedler, die sich die Kolonialherrschaft nicht mehr gefallen lassen wollten. 1888 war er damit beauftragt, einen Aufstand der einheimischen Zulu unter Führung ihres Königs Dinuzulu ka Cetshwayo niederzuschlagen. König Dinuzulu befand sich auf der Flucht vor den britischen Truppen und ließ dabei angebliche eine lange Kette mit tausenden von Holzperlen zurück. Diese Kette galt als heiliges Symbol der Zulu und jede Perle stand für eine Tat, die ein Zulukrieger vollbracht hatte. Laut Pfadfinder-Legende fand BP diese Kette zurückgelassen in einem Haus und nahm sie an sich. König Dinuzulu wurde schlussendlich 1890 gefangen genommen und ins Exil auf eine Insel verbannt weil er es gewagt hatte, einen Aufstand gegen die Briten anzustiften.

Die erste Pfadfinderschulung

Zurück in Europa und mit dem Gründen der Pfadfinderbewegung beschäftigt, stand BP irgendwann vor einem großen Problem: Die Bewegung wurde so groß, dass weitere Leiter gebraucht wurden, um Gruppen zu führen und die Werte der Pfadfinderei weiterzutragen. Was also tun? Gruppenleiterkurse!

Der erste Kurs fand 1919 im Gilwell Park in London statt, 18 Männer um die 21 Jahre wurden dort zu „Scoutmasters“ ausgebildet. Am Ende des Kurses kam die Frage auf, wie man einen schönen Abschluss und ein Symbol für die Teilnahme am Kurs findet. BP kam der Legende nach die Idee, den Absolventen die Perlen von Dinuzulu zu übergeben. Zwei Perlen für jeden Scoutmaster.

Eine Tradition ist geboren

Auch auf künftigen Kursen wurden weiter Perlen verteilt. Irgendwann dann auch nur noch eine –die Perlen wurden langsam knapp – mit der Aufforderung, die zweite selbst zu machen. Die Perlen neigten sich dem Ende zu und schon bald entwickelte es sich, dass die Teilnehmer*innen am Ende der Kurse zwei Perlen für sich fertigten. Der Brauch und das Symbol um das Woodbadge war geboren!

Wo schließt sich der Kreis?

Zurück zum Anfang und ins Jahr 1987: Der Chief Scout Garnet de la Hunt überreichte vier angeblich originale Perlen an Mangosuthu Buthelezi. Buthelezi (Ministerpräsident der Zulu im Gebiet KwaZulu) ist ein Enkel von Dinuzulu, dem König, von dem die Kette mit den Perlen ursprünglich stammte. Er empfand die Geste als große Ehre, da die Perlen nun endlich zu seinen Leuten zurückgebracht wurden. Es erfüllte ihn mit Stolz, dass eine so große Bewegung wie die der Pfadfinder*innen in seinem Land seinen Ursprung nahm.

Ende gut, alles gut. Oder?

Tausende der Perlen sind noch immer im Umlauf und werden vermutlich in irgendwelchen Pfadfinder*innenfamilien vererbt. Was damals ein „Fund“ BPs während der Unterdrückung der Kolonialzeit war, wird heute im Kunst- und Kulturbereich oft als Raubgut bezeichnet. In den letzten Jahren passiert es häufiger, dass solches Raubgut zu seinen ursprünglichen Besitzern zurückkehrt.

Bei meiner Recherche zu dem Thema fand ich aber keinerlei kritische Auseinandersetzung von WOSM mit dem kolonialen und rassistischen Erbe des Woodbadges – im Gegenteil: Die Königsfamilie Dinuzulus forderte jahrzehntelang die Rückgabe der Kette und der Perlen von der Pfadfinder*innenbewegung – sie wurde dabei ignoriert. Die Perlen und weitere Zulusymbole wurden stattdessen sogar strategisch eingesetzt, um Zulu in die Pfadfinderei zu bringen und an sie zu binden.

Wir wollen es besser machen

Keine schöne Geschichte, die bisher größtenteils von außen und nicht von WOSM selbst aufgearbeitet wurde. Das kann sich aber ändern. Im VCP wird auf Bundesebene und auch im Land zum Beispiel immer häufiger unser Liedgut kritisch betrachtet. Das ist richtig und wichtig. Eine Auseinandersetzung mit rassistischen und kolonialen Facetten in der Pfadfinder*innenbewegung kann und sollte überall passieren: in Arbeitskreisen, in der Schulung, in Diskussionen in der Kellerbar.

In den kommenden Monaten mache mache ich einen Woodbadge-Kurs: das Training of Leaders auf Bundesebene. Ich freue mich, darüber zu diskutieren und zu streiten!

 

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