Faszination Schattenspiel(e)

von Andreas Witt

In der Dunkelheit versteckt,
erst durch Licht wird er geweckt.
Den kannst du nicht verjagen,
auch nicht auf Händen tragen.

Der Schatten. Er ist unser ständiger Begleiter. Er zeigt als Abbild unsere Konturen und schafft so seine eigene Schattenwelt – eine Scheinwirklichkeit. Denn Schattenbilder können trügerisch sein und vermeintlich etwas Anderes darstellen. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Illusionen von Tieren, die wir nur mit unseren Händen erzeugen können.

Die Schattenwelt fasziniert uns Menschen seit alten Zeiten. So galt in der Antike die Unterwelt, der Hades, als Reich der Schatten – eine bildliche Vorstellung für die Seelen der Toten. In der Bibel begegnet uns der Schatten aber auch als Schutzsymbol. So heißt es in Psalm 63, 8: „Denn du (Gott) bist mein Helfer, / und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich.“ Die Apostelgeschichte (5, 14-16) berichtet sogar von dem Glauben, dass vom Schatten des Apostel Petrus eine heilende Kraft ausgeht.

Joseph-Benoît Suvée, Invention of the Art of Drawing, 1791, Öl auf Leinwand, 49x34cm, © Groeningermuseum, Brügge

In Asien entwickelte sich in verschiedenen Ländern die Kunst des Schattenspiels – insbesondere in China, Indien und Indonesien. In Indien finden die Aufführungen oft im Umfeld von hinduistischen Tempeln zu Ehren der Götter statt, deren Handeln sie veranschaulichen. Götter, Menschen und Dämonen kämpfen solange gegeneinander, bis die Gerechtigkeit hergestellt ist. Das indonesische Schattentheater heißt Wayang. Seine Figuren bestehen meistens aus kunstvoll bemaltem Pergament. Wayang dient der Belehrung, Unterhaltung oder dem Ritual – und zählt seit 2003 zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe. Diesen Titel trägt seit 2011 auch das chinesische Schattentheater, welches sich durch das Zusammenspiel von Musik, Gesang und Schauspiel auszeichnet.

Im 17. Jahrhundert gelangte das Schattenspiel durch Händler über Arabien und die Türkei nach Europa, zunächst nach Griechenland und Italien, später auch in die Länder nördlich der Alpen. Im Gegensatz zu den oft sehr kunstvoll bemalten fernöstlichen Schattenspielfiguren aus Pergament, wurden in Europa die Figuren aus unterschiedlichen Materialien wie Pappe, Holz oder sogar Metall gefertigt. Scharfer Schattenriss und verschiedene Bewegungsmöglichkeiten durch ausgeklügelte Fäden- bzw. Draht-Systeme kennzeichnen die europäischen Schattentheaterfiguren dieser Epoche.

Als Lichtquelle diente – genauso wie in Asien – die flackernde Flamme einer Fackel oder Öllampe. Da dieses lebendige Licht relativ unruhige Schatten wirft, wurden die Figuren direkt an der Leinwand geführt, um möglichst scharfe Schatten zu erzeugen. Hierdurch wirkten diese Schatten jedoch relativ starr.

Friedrich Wilhelm Murnau, Eine Symphonie des Grauens, D 1922, Ausschnitt, © Murnau Stiftung

In Deutschland erlebten derartige Schattenspiele ihre Hochzeit in der Romantik, da die Schatten die Gefühlswelt der Menschen ausdrucksstark auf die Leinwand brachten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts trat dann der Film in Konkurrenz zum Schattenspiel. Einige wenige Enthusiasten verhinderten das Aussterben dieser speziellen Form des Figurentheaters.
Mit der Entdeckung des Halogenlichts vor ca. 30 Jahren veränderte sich das Schattenspiel in seinen Ausdrucksmöglichkeiten tiefgreifend. Halogenlicht ist ein sehr helles, punktförmiges Licht, das – anders als z.B. eine Glühlampe – auch dann scharfe Schatten wirft, wenn die Figuren sich in größerer Entfernung zur Leinwand befinden. Dadurch wird die Größe einer Schattenfigur variabel. Durch drehbare Objekte kann sogar ein quasi dreidimensionales Schattenbild mit räumlicher Tiefe und Perspektive erzeugt werden. Im modernen Schattentheater wird oft auch die Lichtquelle selbst als Gestaltungsmittel eingesetzt, z.B. durch Bewegung oder Farbe. Auch die Verdoppelung eines Schattens durch zwei Lichtquellen ermöglicht spannende Effekte.

Durch diese Neuerungen ist der Schatten im Schattenspiel nun nicht mehr nur bloßes Abbild einer Figur, sondern bietet eine faszinierende Vielzahl verschiedener Spielvarianten und offenbart dadurch seine phänomenale Ausdrucksstärke. Das Schattenbild befreit sich quasi vom reinen Abbild zur Selbstständigkeit, wie in der Geschichte von Peter Pan, der seinen Schatten verloren hatte und sich diesen von der vernünftigen Wendy wieder annähen ließ. Im Märchen „Der Schatten“ von Hans Christian Andersen drehen sich die physikalischen Abhängigkeiten sogar um: Hier übernimmt nämlich der Schatten die Herrschaft über seinen eigentlichen Herrn, wie auch in manchen Computerspielen die Schatten ein Eigenleben führen und eine eigenständige Existenz besitzen. Faszinierend!

Ausstellungstipp

Echodrome II © 2010 Sony Computer Entertainment, Echodrome is developed by SCE Japan Studio and published by Sony Computer Entertainment

Das Museum Ulm präsentiert (bis zum 28. April 2019) in der Sonderausstellung „OBUMBRO – SchattenKunst ComputerSpiel“ das faszinierende Phänomen „Schatten“ – von seinen kulturellen Anfängen bis zum Computerspiel unter Betrachtung von Kunst, Philosophie und Religion. Der Ausstellungstitel „OBUMBRO“ (lat. „ich überschatte“) leitet sich übrigens von der Erzählung der Verkündigung im Lukasevangelium ab: Hier erscheint der Erzengel Gabriel Maria und erklärt ihr die Empfängnis Jesu mit den Worten: „Der heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten (obumbrabit).“ (Lk. 1.35)

Schattenspiel(e) in der Gruppenstunde

Besonders in der dunklen Jahreszeit machen Schattenspiele Spaß. Man benötigt lediglich eine Leinwand (z.B. ein Bettlaken) und mindestens eine Lichtquelle (z.B. eine Halogen-Taschenlampe). Schattenfiguren können leicht aus Pappe ausgeschnitten werden, man kann aber auch seinen Körper bzw. einzelne Körperteile oder andere Objekte als „Schattenfiguren“ einsetzen. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Schattenspiel eignet sich auch gut, um biblische Geschichten in eindrucksvollen Bildern ausdrucksstark nachzuspielen. So bieten Schattenspiele eine kreative Möglichkeit der Interpretation und lassen sich gut in Andachten oder Gottesdienste integrieren.

Wertvolle, praktische Tipps für das Schattentheater gibt das Büchlein: Angelika Albrecht-Schaffer, Schattentheater für Kinder, München 2016. Tolle Anregungen zum Menschenschattenspiel enthält das Buch:
G. Haehnel / F. Soll, Menschenschattenspiel – Szenische Ideen zu Musik, Literatur und Kunst, Rum/Innsbruck 2008.

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