Begriffe rund um Aufarbeitung sexualisierter Gewalt

Foto: VCP

Begriffserläuterungen und ein kleiner Sprachleitfaden (Sprache = gesprochene, Schrift- und Bildsprache)

Wichtige Begriffe

Aufarbeitung

  • Individuelle Aufarbeitung ist bezogen auf bestimmte Personen / Fälle. Für die Individuelle Aufarbeitung braucht es den VCP als ein institutionelles Gegenüber.
  • Institutionelle Aufarbeitung ist bezogen auf Fälle im Zusammenhang mit einer Institution, also dem VCP. Sie stellt einen Prozess dar, der Ursachen, Ausmaß und Folgen sexualisierter Gewalt benennt und untersucht.
  • Wissenschaftliche Aufarbeitung: wissenschaftliche Untersuchung bestimmter Fälle / institutioneller Kontexte. Wird im VCP durch Dissens/IPP durchgeführt. Sie ist Teil der institutionellen Aufarbeitung.

Beirat zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im VCP

Betroffene*r / betroffene Person

  • Für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, welche sexualisierte Gewalt erfahren haben bzw. erfahren, verwenden wir den Begriff „Betroffene“.
  • Es ist die bevorzugte Eigenbezeichnung.
  • Achtung: Bitte das Wort „Opfer“ vermeiden! Wird von vielen betroffenen Personen abgelehnt! Mit „Opfer“ wird häufig Passivität, Fremdbestimmung, Abhängigkeit, Ohnmacht und Hilflosigkeit verbunden. Viele Betroffene von Gewalt empfinden den Begriff als stigmatisierend, denn sie fühlen sich nicht (nur) schwach, hilflos und ohnmächtig. Im Gegenteil: Mit Erfahrungen sexualisierter Gewalt umzugehen und diese beispielsweise öffentlich zu machen, zeigt Stärke.
  • Besser als „Betroffene“ ist „betroffene Person“. Die Erfahrung sexualisierter Gewalt ist hier nicht das zentrale Merkmal der Person.

EHS-Fond/ Anerkennungsleistung

  • Leistungen in Anerkennung erlittenen Unrechts. Nicht Schmerzensgeld, Schadensersatz etc. verwenden.
  • Der VCP selbst kann keine Anerkennungsleistungen zahlen. Es gibt im kirchlichen Kontext die Möglichkeit, Anerkennungsleitungen zu erhalten. Der VCP ist zusätzlich im EHS-Fond. Das Ergänzende Hilfesystem (EHS) im institutionellen Bereich bietet Menschen, die während ihrer Kindheit oder Jugend in einer Institution sexualisierte Gewalt erfahren haben, Unterstützungsleistungen. Betroffene können zur Minderung der Folgewirkungen dieser Gewalt Sachleistungen bis zu 10.000 Euro bei den Institutionen beantragen, die sich am EHS beteiligen.

Grenzverletzungen:

  • Bezeichnen einmalige oder gelegentliche unangemessene Verhaltensweisen, die zumeist unabsichtlich passieren.
  • Häufig fehldende Perspektivübernahme: Die Person ist sich nicht bewusst, dass Dinge, die für sie selbst okay sein mögen (z.B. Umziehen in Sammelumkleiden/Jurte vor allen, Spiele mit viel Körperkontakt), für andere unangenehm sein können.
  • Wann die eigene Grenze verletzt wird, spürt das Kind, die*der Jugendliche oder die*der Erwachsene. Dies kann individuell sehr verschieden sein.
  • Im VCP sollen Grenzverletzungen angesprochen werden können, z.B. bei Gruppenleitungen oder den Vertrauenspersonen. Es ist wichtig, die eigenen Grenzen und die anderer zu erkennen und zu respektieren. Auch Grenzverletzungen fließen in die Aufarbeitungsstudie mit ein.

Sexualisierte Gewalt/ sexueller Missbrauch

  • Gewaltform, bei der Sexualität genutzt wird, um Macht auszuüben.
  • Umfasst Grenzverletzungen, sexuelle Übergriffe und strafrechtlich relevanten Formen.
  • Der Begriff wird für den evangelischen Kontext in der Gewaltschutzrichtlinie (Richtlinie der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Schutz vor sexualisierter Gewalt) in §2 definiert.
  • Sexualisierte Gewalt ist von dem*der Täter*in geplant und passiert niemals aus Versehen. Täter*innen nutzen ihre eigene Macht- und Autoritätsposition aus, um ihre Bedürfnisse auf Kosten des Kindes bzw. des*der Jugendlichen zu befriedigen.
  • Achtung: Das Wort „Missbrauch“ kann im juristischen Kontext verwendet werden. Wir verwenden es im Sprachgebrauch nicht, da es suggeriert, dass es auch einen „Gebrauch“ gibt.
  • In der breiten Öffentlichkeit, in den Medien und von vielen Betroffenen selbst wird der Begriff „sexueller Missbrauch“ verwendet. Dies akzeptieren und respektieren wir. Andere Betroffene hingegen lehnen die Beschreibung als „missbraucht“ ganz klar ab, denn dies bedeutet nach ihrem Verständnis, dass es übergriffigen Menschen gelungen ist, sie zu einem Gegenstand zu machen, der sie nie – auch während der „Missbrauchshandlung“ nicht – gewesen sind. Des Weiteren wird die Verwendung des Begriffs „Missbrauch“ kritisiert, insofern dies fälschlicherweise die Möglichkeit eines zulässigen sexuellen Gebrauchs implizieren könnte. Uns ist es wichtig, deutlich zu machen, dass es bei den Taten vorrangig um Gewalt geht, wofür Sexualität funktionalisiert wird.

Strafrechtlich relevante Handlungen

  • Umfassen rechtliche Straftatbestände der Körperverletzung, Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung oder der Erpressung. Diese geschehen nicht zufällig, sondern beabsichtigt.

Täter*in und beschuldigte Person

  • Rechtlich ist ein*e Täter*in eine verurteilte Person. Dieser Begriff sollte nur im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung verwendet werden. Andernfalls: „beschuldigte Person“ verwenden.
  • Beschuldigte Person: Eine Person, der eine Tat vorgeworfen wird.Rechtlich gesehen ist es eine Person, gegen die ermittelt wird.
  • Wenn im VCP eine Anschuldigung gegen eine Person aufgrund eines Tatverdachts auf sexualisierte Gewalt vorliegt, sprechen wir von „Beschuldigten“, NICHT von „Täter*innen“. Zum Zeitpunkt der Anschuldigung besteht ein Verdacht, den wir äußern können. Es ist die Aufgabe des deutschen Rechtssystems, eine Schuld zuzuweisen. Erst dann kann von „Täter*innen“ gesprochen werden.
  • Der Begriff kann auch verwendet werden, wenn es sich nicht um eine bestimmte Person / einen bestimmten Fall handelt, sondern allgemein formuliert wird z.B. „In 96% der Fälle sind Täter*in und betroffene Person einander aus ihrem nahen Umfeld bekannt.“

Betroffenensensible Bildsprache

Geeignete und angemessene Bilder zum Thema sexualisierte Gewalt im Kontext Pfadfinden

  • Besondere Sensibilität in Bezug auf die Bildrechte – sind Gesichter zentral und deutlich erkennbar? Dann verwenden wir diese nur, wenn die Personen auch für diesen Themenbereich ihre Zustimmung gegeben haben
  • Wie immer: Kinder und Jugendliche, junge Erwachsene respektvoll darstellen
  • Alltagssituationen im Pfadfinden: Gruppenstunden, Zeltlager, Hajk, Lagerfeuer, Gemeindefest, Waldweihnacht, Nutzung von Medien, … denn: Missbrauch findet überall statt, wo Kinder Erwachsenen anvertraut sind
  • neutralen und ansprechende, eher helle Farben, nicht extra verfremden, um es „düster“ erscheinen zu lassen, nicht dramatisieren
  • Diversität abbilden: Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene bei verschiedenen Tätigkeiten, abseits von Rollenklischees; wenn möglich: verschiedene Herkunft/Hautfarbe
  • Vermeiden: starke Kinder! Kinder können und sollen sich nicht selbst schützen, das ist die Aufgabe von (jungen) Erwachsenen!  Mit unserer Präventionsarbeit wollen wir sie insoweit stärken, dass sie eigene Grenzen kennen und eine Verletzung bei Erwachsenen ansprechen.
  • Gut eignet sich als neutrales Bild das Waldläuferzeichen „Weg über Hindernis“
Weg über Hindernis
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