Von Alarm- und Kirchenglocken und ihrer Geschichte
von Andreas Witt
„Bimbam! Alarm! Alarm!“ Die Alarmglocken läuten! Nach den Angaben eines Herstellers für Sicherheitstechnik bestanden im 17. Jahrhundert die ersten mechanischen Alarmanlagen zum Schutz vor Einbrüchen aus mehreren Glocken, die mittels einer Schnur oder eines Drahtes mit der zu schützenden Tür verbunden waren: Wurde die Tür bewegt, bimmelte es. Simpel und nicht besonders sicher. Doch klingende Glocken als Alarmsignale einzusetzen, war keine neue Idee, denn bereits seit dem Mittelalter warnten die Glockenschläge vieler Kirchenglocken vor Unwetter und Sturm, Feuer, Pest oder anrückenden Feinden. Wobei die Hauptaufgabe der Kirchenglocken natürlich daran bestand und besteht, den Tag zu strukturieren und die Menschen zum Gebet oder Gottesdienst zu rufen, oder durch zählbare Glockenschläge die Zeit zu verkünden.
Es gibt übrigens erst seit gut 125 Jahren in Deutschland eine einheitliche Zeit. Vorher mussten Reisende in jeder Stadt ihre Uhren neu einstellen. Auf Bahnhöfen gab es teilweise sogar mehrere Uhren, die verschiedene Zeiten anzeigten. Die exakte Zeit einer Stadt verkündeten damals in der Regel die Kirchenglocken mit ihrem Geläut.
Die Geschichte der Glocken beginnt in China: Hier wurden Glocken als Musikinstrument und gleichzeitig als Maß für Reis oder Getreide erfunden. Der Durchmesser einer Glocke bestimmt – bei gleicher Bauart – den Ton des Glockenklangs: Gleicher Ton heißt gleiches Volumen! Eichung durch Klang.
Im Hinduismus und Buddhismus haben Glocken eine große kultische und rituelle Bedeutung. Hinduistische und buddhistische Tempel zieren oft viele kleine Glöckchen und verbreiten als Windspiele süße, helle, feinsinnige Töne.
Im europäischen Raum sind Glocken seit der Antike nachgewiesen: Der Höllenhund Zerberus aus der griechischen Mythologie trägt auf Darstellungen eine Glocke um den Hals. Glocken spielten im Totenkult der Antike eine wichtige Rolle. Im Alten Rom verkündeten Glockenschläge die Öffnung der Thermen.
Auch in der Bibel ist mehrfach von Glocken die Rede: Nach 2. Mose 28,33 und Jesus Sirach 45,9 säumten Glöckchen das Gewand des jüdischen Oberpriesters – wahrscheinlich, um mit diesen Schellen beim Aussprechen des (in jüdischer Tradition) unaussprechlichen Gottesnamen JAHWE ein akustisches Alarmsignal zu setzen, damit der Gottesname nicht deutlich zu hören war. Dadurch entstand in der jüdisch-christlichen Tradition vermutlich die Verbindung von Glockenklang und Verkündigung von Gottes Wort. Glockenklänge wurden zum symbolischen Hinweis auf Gott.
In den Psalmen werden Glocken als Musikinstrument genannt: „Lobet ihn (=Gott) mit hellen Zimbeln (=Glöckchen) / lobt ihn mit klingenden Zimbeln!“ (Psalm 150,5). Im Neuen Testament spiegelt sich diese Tradition wider: „Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönerndes Erz oder eine klingende Schelle.“ (1. Kor. 13,1).
Nach Mitteleuropa gelangten Glocken und Geläut im Zuge der Christianisierung: Mit Glockengeläut machten im 7. Jahrhundert die Missionare auf sich aufmerksam und verkündeten anschließend den christlichen Glauben. In den Klöstern erinnerte das regelmäßige Gebetsläuten die Nonnen und Mönche ans Gebet. Auf diese Tradition geht das tägliche Läuten der Kirchenglocken zurück – traditionell fünfmal am Tag im Rhythmus von jeweils drei Stunden. Allerdings erklingen heutzutage die meisten Kirchenglocken regelmäßig nur noch dreimal am Tag – nämlich morgens („Laudes“), mittags („Sext“) und abends („Vesper“). Durch das Läuten der Kirchenglocken kann – ähnlich wie bei einer Schweigeminute – ein Gemeinschaftsgefühl entstehen, wenn alle gemeinsam kurz innehalten. Jedes Läuten hat eine spezielle Bedeutung. So ermahnt das Mittagsläuten zur Bitte um Frieden.
In Kriegszeiten verstummten immer wieder viele Kirchenglocken. Sie wurden als wertvolle Metallreserven eingeschmolzen und zu Kanonen umgearbeitet. Kriegerischer, krachender Kanonendonner statt himmlisches Friedensgeläut!
Auch im rheinland-pfälzischen Ort Herxheim wurden im zweiten Weltkrieg die Kirchenglocken eingeschmolzen, bis auf die kleinste Glocke, da sie als Alarmglocke die Sirene ersetzte. Allerdings wurde diese Glocke im Jahr 1934 gegossen. Sie trägt ein Hakenkreuz und die Widmung: „ALLES FUER’S VATERLAND ADOLF HITLER“. Seit mehreren Jahren wird nicht nur in Herxheim heftig darüber gestritten, ob diese „Nazi-Glocke“ als Kirchenglocke weiterhin erklingen oder in Zukunft besser verstummen sollte. Beim Propheten Micha (4,3) heißt es über das kommende Friedensreich Gottes: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen! Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen!“ In diesem Sinne: Kanonen zu Glocken!
Tipps für die Gruppenstunde:
- Glocken bauen (zum Beispiel aus Ton-Blumentöpfen)
https://www.youtube.com/watch?v=cbTEImBLP00?rel=0
- mit Glocken, Schnüren und Draht eine mechanische „Alarmanlage“ für die Tür des Gruppenraums bauen
- auf den Kirchturm eurer Kirche in den Glockenstuhl steigen und die Glocken mit ihren Widmungen erforschen
- die Läuteordnung eurer Kirche erforschen: Wann wird warum mit welcher Glocke bzw. welchen Glocken geläutet?
- das Geläut der Kirchenglocken eurer Kirche mit dem Smartphone aufnehmen und als Friedensgruß verschicken
- einen Psalm (z.B. Psalm 150) mit Glocken und anderen einfachen Instrumenten musikalisch untermalen
- eine Andacht oder einen Gottesdienst zum Thema Glocken (mit-)gestalten
- Besuch einer Glockengießerei oder eines Glockenmuseums
- den Glockenkanon „Bruder Jakob“ singen (und mit Glockenklängen untermalen)
Internettipp: Auf der „Glockenpforte“ des WDR kann man sich das Geläut von über 100 verschieden Kirchenglocken aus Nordrhein-Westfalen anhören: www1.wdr.de/dossiers/religion/christentum/glockenpforte/index.html
Buchtipp: Kurt Kramer, Die Glocke – Eine Kulturgeschichte. Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer 2016