„Im Traum erschien ihm ein Engel“ – Ein fiktives Interview mit Josef von Nazareth

Foto: VCP/Esther Koch

Wir stellen uns vor, wir sind in Nazareth und sind mit dem Bauhandwerker Josef zum Interview verabredet. Hier in Nazareth lebt Joseph zusammen mit seiner Frau Maria und seinen Kindern. Ihr ältester Sohn ist Jesus und ist gerade 10 Jahre alt.


anp: Wie war das mit der Geburt deines ältesten Sohns Jesus damals in Bethlehem? Maria, Josef und das Jesuskind in der Krippe – für viele seid ihr eine echte „Traumfamilie“!

Josef: Die Geburt von Jesus war ein ganz besonderer Moment in meinem Leben, mit einer ganz besonderen Atmosphäre. Maria und ich waren überglücklich – und ergriffen von allem, was damals passiert ist. Aber wir waren keine „Traumfamilie“, die ohne finanzielle Sorgen in einem schönen Haus lebt, sondern wir waren in Bethlehem Fremde in einer fremden Stadt. Ein Stall ist keine komfortable Wohnung. Es hat dort gestunken und war kalt! Doch diese Widrigkeiten haben wir in diesem Moment nicht so wahrgenommen.
Okay! Der Begriff „Traumfamilie“ passt vielleicht nicht so ganz. Aber Maria ist doch deine „Traumfrau“ – und eure Hochzeit in eurer Heimat hier in Nazareth war doch sicher eine „Traumhochzeit“!
Eine Hochzeitsfeier ist in unserer Tradition ein riesiges Ereignis: Eine Woche lang wird mit Verwandten, Freund*innen und eigentlich dem gesamten Dorf gefeiert. Doch die Zeit vor der Hochzeit war sehr schwierig für mich!
Inwiefern?
Maria war schwanger. Ich wusste, dass ich nicht der Vater des Kindes bin. Wir waren ja erst verlobt. D.h. wir wohnten noch nicht zusammen, aber unsere Hochzeit war bereits fest und verbindlich verabredet. Eine Verlobung ist in unserem Kulturkreis einer Ehe rechtlich ziemlich gleichgestellt.

Wie hast du dich gefühlt?
Ich war sehr enttäuscht: Meine Verlobte, meine geliebte Maria!
Meine Traumfrau!!!
Ich hätte sie wegen Ehebruchs bloßstellen können – dann hätte ihr nach unseren Gesetzen die Steinigung gedroht. Das wollte ich auf keinen Fall! Jedoch wollte ich sie verlassen – dann hätte sie nämlich den Vater des Kindes heiraten können. Ich wollte eigentlich nur noch weg, weil ich diese Situation nicht aushalten konnte!
Aber du bist nicht weggegangen. Warum bist du geblieben?
Mir ist in der Nacht im Traum ein Engel erschienen und sagte zu mir: „Josef, du Nachkomme Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen. Denn das Kind, das sie erwartet, ist aus dem heiligen Geist. Sie wird einen Sohn zu Welt bringen. Dem sollst du den Namen Jesus geben. Denn er wird sein Volk retten: Er befreit es von aller Schuld.“ Diese Worte haben sich in meinem Kopf eingebrannt! Ich habe die Worte des Engels befolgt und habe Maria geheiratet!
Hattest du noch andere Traumerscheinungen?
Ja! Als König Herodes befahl, alle neugeborenen Babys zu töten, ist mir wieder ein Engel im Traum erschienen und befahl mir, mit Jesus und Maria zusammen nach Ägypten zu fliehen. Das haben wir sofort gemacht. Ein drittes Mal ist mir ein Engel dann in Ägypten erschienen, wo wir als Geflüchtete lebten. Der Engel sagte, dass Herodes tot ist und dass wir nach Israel zurückgehen sollten.
Hast du jemals an diesen Traumerscheinungen gezweifelt?
Nein, nie! Ich habe Gott immer vertraut und nach seinem Willen gelebt. Ich bin ein frommer Jude – und die Leute sagen über mich, dass ich gerecht bin. Das empfinde ich als großes Kompliment! Doch jetzt muss ich zur Arbeit nach Sephoris. Diese Stadt wurde von den römischen Besatzern zerstört und nun lassen sie die Stadt neu aufbauen. Dort in Sephoris gibt es für einen Bauhandwerker wie mich, viel zu tun. Oft hilft auch Jesus auf der Baustelle mit. Es müssen in unserer Familie alle mit anpacken, damit wir genug zum Leben haben! Denn die Steuern, die wir an die römische Besatzungsmacht entrichten müssen, sind ziemlich hoch.
Dann wollen wir dich nicht aufhalten! Vielen Dank für das Interview!


Zur Person des Josef von Nazareth:
Die Bibel berichtet nicht sehr viel über Josef von Nazareth, den Ziehvater Jesu. Josef stammt aus dem Geschlecht des Königs Davids (Mt 1,1–17). Er ist Bauhandwerker (Mt 13,55), heiratet seine Verlobte Maria kurz vor Jesu Geburt, zieht mit Maria wegen einer Volkszählung nach Bethlehem, wo Jesus im Stall geboren wird (Lk 2, 1–20). Anschließend flieht er mit seiner Kleinfamilie vorübergehend nach Ägypten, um dort dem Kindermord des Herodes zu entgehen (Mt 2,13–23). Aus der Kindheit Jesu ist bekannt, dass der zwölfjährige Jesus auf einer Wallfahrt in Jerusalem verlorengeht, seine Eltern Maria und Josef ihn drei Tage lang suchen und ihn schließlich im Tempel beim Diskutieren mit Schriftgelehrten finden (Lk 2.41–52). Maria und Josef haben noch weitere Kinder (Mk 3.32–25). Der Evangelist Matthäus berichtet von drei Traumvisionen, in denen Josef Anweisungen von Gott erhält, die er anschließend befolgt (Mt 1,20–25; Mt 2,13–15; Mt 2, 22).


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